: „Nicht ganz schlecht, nicht ganz gut“
JETZT MAL IM ERNST … Katharina Kluczniok: Wie machen sich deutsche Kitas im Vergleich? Mittel, sagt die Forscherin
■ 31, hat Elementar- und Familienpädagogik an der Universität Bamberg studiert und dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin zur vorzeitigen Einschulung geforscht. Seit 2012 ist sie Akademische Rätin.
INTERVIEW SÖREN MUSYAL
sonntaz: Frau Kluczniok, offenbar gibt es einige Mängel an deutschen Krippen. Trotzdem spricht Familienministerin Kristina Schröder nur über die Anzahl der Plätze. Warum wird so wenig über Qualität geredet?
Katharina Kluczniok: Das trifft vielleicht auf die Diskussion in der Öffentlichkeit zu. In der Wissenschaft ist die Frage seit den Neunzigerjahren Teil der Auseinandersetzung. Aber es ist natürlich eine Frage, ob dieser quantitative Ausbau nicht mit Qualitätseinbußen erkauft wird.
Welches europäische Land hat denn die besten Kitas?
Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil die verschiedenen Länder in Europa unterschiedliche Schwerpunkte setzen. In Deutschland haben wir in Kitas die Trias Bildung, Betreuung und Erziehung. Zudem gibt es keine aktuelle Untersuchung, die systematisch Unterschiede in der Qualität der Kitas untersucht.
Im Grunde also: Kinder lernen, was sie können sollten, und erfahren, was sie in unserer Kultur tun und lassen dürfen.
Ja, aber es gibt auch Länder, die ihren Fokus auf eine sehr spezifische Förderung von Kindern legen. In Frankreich oder Großbritannien fokussiert man zum Beispiel die kognitive Förderung, etwa den logischen Umgang mit Problemen oder mathematischen Fragen.
Ist es sinnvoller, alle drei Bereiche gleichmäßig abzudecken?
Die deutsche Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung ergibt durchaus Sinn. In England verfolgt man diese Trias noch gezielter in den sogenannten Early Excellence Center. Heute nennt man sie auch Children Center. Sie kommen langsam auch nach Deutschland. Dieser Ansatz ist erfolgversprechend.
Was ist ein Children Center?
Letztlich sind das ganz klassische Kitas, in denen man gleichzeitig versucht, mit einer Art Familienkomponente die Eltern in Erziehungsfragen zu unterstützen, um sie mehr ins Boot zu holen.
Wie misst man Qualität in deutschen Kindertagesstätten?
Die vier großen Qualitätsdimensionen sind anwendbar auf die Krippe, den Kindergarten und auch die Tagespflege. Es geht immer um den Familienbezug, die Struktur-, die Orientierungs- und die Prozessqualität.
Klingt betriebswirtschaftlich.
Bei der Strukturqualität schaut man: Gibt es genug Geld und Räume? Das Erzieher-Kind-Verhältnis ist wichtig. Die Orientierungsqualität meint so etwas wie einen roten Faden. Nach welchen Leitvorstellungen, Konzepten und Werten werden Kinder pädagogisch betreut? Wenn man sich die Prozessqualität mal näher anschaut, dann bezieht sich diese immer darauf, was in den Einrichtungen an Aktivitäten zwischen den Erziehern und den Kindern passieren, aber auch zwischen den Kindern untereinander. Da geht es aber auch um Sicherheitsaspekte, die Gesundheit der Kinder und um Anregungsangebote, die die Kinder entwicklungsmäßig fördern.
Und was fange ich mit diesen Dimensionen an?
Die Qualität kann ich dann zum Beispiel anhand der international und national angewandten Krippenskala messen. So wird das auch bei der Nubbek-Studie gemacht, von der in dieser Woche viel die Rede war. Daran kann ich relativ gut ablesen, wie gut die Krippe ist. Welchen Wert zwischen 1 und 7 erreicht sie?
Welchen Wert erreichen deutsche Krippen da denn?
Über 80 Prozent aller untersuchten Krippen kommen auf einen Wert zwischen 3 und 5 und sind mittlerer Qualität. Im Durchschnitt weisen die Kitas und Krippen eine gehobene Mittelmäßigkeit auf. Nicht ganz schlecht, nicht ganz gut. Das haben wir in den Einrichtungen die letzten fünfzehn Jahre schon festgestellt. Es gibt da also keine große Veränderung in der Qualität von Krippen, Kitas und auch der von Tagesmüttern, für die der neue Rechtsanspruch ja ebenfalls gelten soll.
Gibt es konkrete Punkte, die seit fünfzehn Jahren immer wieder auftauchen und bisher nicht behoben wurden?
Wenn man Deutschland etwa mit England vergleicht, schneidet es in allem, was mit der Förderung kognitiver Fähigkeiten wie früher Mathematik zu tun hat, oder mit Maßnahmen, die auf das frühe Lernen von Schrift und Sprache abzielen, leicht schlechter ab. Denkt man das andersherum, müsste da angesetzt und gerade diese Förderung intensiviert werden. Dabei hat jedes Bundesland Bildungspläne für den Elementarbereich, die genau solche spezifischen Fördermaßnahmen enthalten.
Man sagt also, man möchte, aber es klappt nicht so richtig?
Genau.
Wer ist verantwortlich für Verbesserungen? Der Bund, die Länder, die Kommunen? Oder Träger wie die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas?
Ich würde tatsächlich beim Träger ansetzen, der versuchen müsste, gewisse Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Förderaktivitäten in der Einrichtung überhaupt funktionieren: eine angemessene Gruppengröße, der Betreuungsschlüssel oder die Raumkapazitäten.
Gleichzeitig muss es doch eine Kontrollinstanz geben, die feststellt, ob die Rahmenbedingungen erfüllt sind.
So ein Monitoring von oben gibt es in Deutschland noch nicht. Es gibt Überlegungen, ein sogenanntes Gütesiegel einzurichten. Das hat das Institut von Professor Wolfgang Tietze in Berlin angeregt. Und wäre letztlich das, was man aus dem Hotelgewerbe kennt: Eine Kita mit drei Sternen ist besser als eine Kita mit einem Stern. Damit kann man für die Eltern sichtbar machen, aha, das ist ein Kindergarten mit dem und dem Wert. Eine Plakette. In den USA gibt es so was bereits.
Bisher ist die Teilnahme an dieser Zertifizierung freiwillig.
Richtig. Das liegt wiederum am Föderalismus und hat sich noch nicht deutschlandweit durchgesetzt. Das ist problematisch, aber es von oben überzustülpen, funktioniert nicht so einfach.
Vielen Eltern wird bewusst, dass es vielleicht genug Krippenplätze gibt, aber die Qualität wohl leiden wird. Wie geht man mit Eltern um, die deshalb darüber nachdenken, auf den Krippenplatz für ihr Kind zu verzichten?
Da muss man vielleicht noch mal mit der Wissenschaft argumentieren und auf internationale und nationale Studien verweisen. Die Nichd-Studie aus den USA zeigt, dass es deutlich positive Auswirkungen gibt, wenn ein Kind eine Krippe besucht hat. Sowohl im sozial-emotionalen Bereich als auch im kognitiven.
Dieselbe Studie zeigt allerdings auch, dass Krippenbesuche den Kindern durch zusätzliche Betreuungspersonen schaden können.
Sie belegt, dass Kinder, die vor dem ersten Geburtstag umfangreich außerfamiliäre Betreuung erhalten, später möglicherweise Verhaltensstörungen aufweisen können – aber nicht zwangsläufig müssen. Von daher könnte man die vorsichtige Empfehlung formulieren, Kinder erst nach dem ersten Geburtstag ganztags fremdbetreuen zu lassen.
Das heißt also, dass Frankreich, wo Kinder oft schon sechs Wochen nach der Geburt fremdbetreut werden, gar nicht das Paradebeispiel ist, zu dem es häufig gemacht wird?
Wenn man sich die sozial-emotionale Entwicklung ansieht, scheint es da tatsächlich Risiken zu geben, ja.