Gute Ideen aus Nordeuropa

taz-Serie „In Arbeit“ (Teil 7 und Schluss): Taugt Skandinavien als Modell? Das Steuersystem funktioniert anders, die Arbeitskraft ist billiger und die Ausbildung besser

Die Schweden haben mit ihrem Staatbessere Erfahrungen gemacht als die Deutschen mit ihrem

Was haben Finnland und Brandenburg gemeinsam? Viele Bäume und Seen. Und eine Vision: den konkurrenzfähigen Wohlfahrtsstaat. Nachdem Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck die finnische Partnerstadt Potsdams besucht hatte, schrieb er begeisterte Artikel. Vieles darin klingt sehr luftig. Den „weichen Faktor des Miteinander, einer Grundhaltung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Kooperation“ hat denn auch Tobias Dürr, Chefredakteur der SPD-Reform-Zeitschrift Berliner Republik, als Kristallisationspunkt des finnischen Modells ausgemacht. So schemenhaft diese Zuschreibung anmutet – seit Platzeck in die Spitze der großen Koalition aufgestiegen ist, hat Skandinavien eine neue Bedeutung für die Bundespolitik bekommen.

In Finnland scheint all das zu funktionieren, was weder in Brandenburg noch in Deutschland insgesamt klappt. Finnland gilt als wettbewerbsfähigste Nationalökonomie der Welt. Das Land kombiniert schnellen technischen Fortschritt und ein hervorragendes Schulsystem mit einem teuren, umsorgenden Sozialstaat, einer geringen Polarisierung zwischen Arm und Reich und erstaunlich intakten öffentlichen Finanzen. Eigentlich die Realisierung dessen, was Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine 1998 unter dem Slogan „Innovation und Gerechtigkeit“ als Leitbild einer modernen Sozialdemokratie zu entwerfen versuchten. Und ein irdisches Paradies im Vergleich zum krisengeschüttelten Deutschland mit seiner Erwerbslosigkeit von über 12 Prozent.

Dass die Arbeitslosigkeit in Finnland mit knapp 9 Prozent nicht viel niedriger liegt, wird dabei oft übersehen. Um ihre Vision zu retten, bringt die Skandinavien-Fraktion gerne das benachbarte Schweden ins Spiel. Dort sind tatsächlich nur 6 Prozent Erwerbslose registriert. Die Frage ist nun, ob Finnland und Schweden tatsächlich ein skandinavisches Modell repräsentieren, das als Vorbild für Deutschland taugt.

In einer Hinsicht wahrscheinlich schon: Für Unternehmen ist menschliche Arbeit in den beiden Staaten günstiger als hierzulande. 16,8 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) floss 2004 als Beiträge in das System der sozialen Sicherung. In Schweden waren es 13,9, in Finnland 12,1 Prozent. Die niedrigeren Lohnnebenkosten machen menschliche Arbeit in den beiden Ländern billiger, erlauben Firmen, eine höhere Rendite zu erwirtschaften und daher schneller neue Stellen zu schaffen. Die Erkenntnis, dass Deutschland hier Nachholbedarf hat, setzt sich allmählich durch. Auch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ließ unlängst anklingen, dass man langfristig zu einer deutlichen Reduzierung der Sozialabgaben und einer entsprechenden Verlagerung auf Steuern kommen müsse.

Diesen Prozess haben Schweden und Finnland als Reaktion auf ihre Wirtschaftskrisen der 1990er-Jahre bereits hinter sich gebracht. Die Sozialbeiträge liegen relativ niedrig, doch insgesamt verlangen die skandinavischen Sozialstaaten ihren Bürgern einen höheren Obulus ab als Deutschland. Interessant erscheint dabei die Verteilung der Steuerbelastung. Die Beschäftigten im Norden zahlen zum Teil sehr viel höhere Einkommensteuern, die auch mit einem satten Spitzensteuersatz einhergehen (Schweden 56,6 Prozent, Finnland 51,8, Deutschland 44,2). Dagegen begnügen sich Stockholm und Helsinki mit geringeren Steuersätzen für Firmen als Berlin. Finnland erhebt von seinen Unternehmen 26 Prozent, Schweden 28, Deutschland dagegen 38,7 Prozent.

Skandinavien – ein Paradies für die Konzerne? Um genug Einnahmen zu erwirtschaften, hält sich der Staat bei den heimischen Beschäftigten schadlos – und folgt damit der Annahme, dass die menschliche Arbeitskraft oft weniger mobil ist als das Kapital. Finnland und Schweden entsprechen nicht unbedingt dem romantischen Traum vom kuscheligen Sozialstaat, der die Starken belastet, um den Schwachen zu geben.

Dann aber doch: Die Unternehmen leisten trotz niedriger nominaler Steuersätze unter dem Strich einen höheren Beitrag zum Gemeinwesen als in Deutschland. Was die finnische Regierung verordnet, wird von Nokia auch bezahlt. Im Land von Siemens und DaimlerChrysler sieht das anders aus: Unter tätiger Mithilfe von Finanzminister Hans Eichel (SPD) blieb ein verkorkstes, ineffizientes und ungerechtes Steuersystem erhalten, das die Steuervermeidung der Unternehmen begünstigt und private Millionäre mit einer vergleichsweise niedrigen Einkommensteuer verwöhnt.

Würde die SPD die Beispiele Finnlands und Schwedens ernst nehmen, müsste die für dieses Jahr geplante Reform der deutschen Unternehmensteuer dazu führen, dass die Firmen im Endergebnis tatsächlich mehr Geld an den Staat überweisen – und nicht weniger. Auf ein solches Ziel deutet bislang allerdings nichts hin. Und auch die Großverdiener unter den Beschäftigten müssen nicht befürchten, dass die große Koalition die Einkommensteuer erhöht oder die Kapitalflucht einschränkt.

Keine Volkswirtschaft ist konkurrenzfähiger als Finnland. Die Bildungsinvestitionenzahlen sich bereits aus

So kann zwischen Oder und Rhein nicht funktionieren, was rings um den Finnischen Meerbusen selbstverständlich ist. Weil staatliche Mittel für gute Kindergärten, Schulen und Universitäten fehlen, erscheint Deutschland im Vergleich zu Finnland als ein Staat der Dummys und Malocher. Wir leisten uns einen viel höheren Anteil von Geringqualifizierten unter den Beschäftigten und Erwerbslosen und sind damit dem Niedriglohn-Wettbewerb aus Osteuropa, Indien oder China stärker ausgesetzt als Finnland und Schweden.

Die Globalisierung wirkt so: Je einfacher die Tätigkeit, desto leichter lässt sie sich ins Ausland verlagern oder durch Maschinen ersetzen. Mit einem hervorragenden Bildungssystem haben sich die skandinavischen Staaten gegen diese Art von Konkurrenz gewappnet. Das führt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Der Anteil von Forschung, Entwicklung, technischem Fortschritt insgesamt am Wirtschaftswachstum ist in Finnland und Schweden erheblich höher als in Deutschland.

Modell Skandinavien? Ja und nein. Nicht alles, was dort geht, muss auch hier einschlagen. Ognian Hishow von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin argumentiert, dass die Schweden und Finnen jahrhundertelang bessere Erfahrungen mit ihren Regierungen gesammelt hätten als die Deutschen und daher bereit seien, ohne zu Murren hohe Steuern zu zahlen. Diese kulturelle Differenz könnte ein Grund dafür sein, dass 50 Prozent Steuerbelastung deutsche Millionäre eher in die Flucht schlagen als schwedische. Was aber auch klar ist: Wenn SPD-Finanzminister Peer Steinbrück die bereits gescheiterte Politik der Entstaatlichung weitertreibt, indem er die deutsche Staatsquote – den Anteil der Sozialabgaben und Steuern am BIP – weiter senkt, fehlt das Geld für die Bildung. Dann wird es für viele Beschäftigte hierzulande weiter heißen: zu doof zum Arbeiten. HANNES KOCH