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Archiv-Artikel

Wo die wilden Kerle wohnen

GEWALT Mit einer zweistündigen Sperrstunde wollen Stadtverwaltung und Polizei in Oldenburg Prügeleien in der Innenstadt verhindern. Geschlagen wird munter weiter

Sind die Kneipentüren zu, herrscht Ruhe? Von wegen. Die Realität sieht anders aus

VON FELIX ZIMMERMANN

Sie sind Männer der Tatkraft und des entschlossenen Handelns – und müssen dieser Tage doch miterleben, wie unzulänglich ihr von hochgekrempelten Ärmeln geprägtes Tun mitunter sein kann: Oldenburgs Oberbürgermeister Fritz Gerd Schwandner und der Leiter der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt / Ammerland, Johann Kühme.

Beide hatten sie – Kühme als Ideengeber, Schwandner als Verwirklicher, der akute Themen gerne zur „Chefsache“ erklärt – eine seit Anfang Februar geltende Sperrstunde für die Zeit von fünf bis sieben Uhr morgens initiiert. Gaststätten, Kneipen, Diskotheken sollen dann freiwillig schließen, um so jene Prügeleien, Pöbeleien und sonstigen Aufwallungen verhindern zu helfen, für die die Fußgängerzone Oldenburgs mittlerweile berüchtigt ist. Kein Wochenende vergeht ohne Meldungen über zumeist Alkoholisierte, die sich geschlagen haben, die sich wüst beschimpfen und – gar nicht lange her – ein Polizeiauto malträtierten.

Der Gedanke hinter dem Kühme-Schwandner-Plan, dem die allermeisten Kneipiers folgten: Sind die Kneipentüren zu, herrscht Ruhe. Nett gedacht, aber völlig an der Realität vorbei. Denn dass sich Prügelwillige nicht an Stundenpläne halten, lässt sich auch nach dem 1. Februar immer wieder beobachten. Erst am vergangenen Wochenende wieder: Da wurde gegen 1.20 Uhr – also weit vor der Sperrstunde – ein junger Mann am Leffers-Eck – einer Art „Hot Spot“ der Schlägereien – mit schussbereiter Gaspistole aufgegriffen; um kurz nach vier – immer noch vor der Sperrstunde – kam es in der Warteschlange vor einem Schnellrestaurant zu Handgreiflichkeiten, weil man sich unter den Hungrigen über die Reihenfolge stritt. Der Polizeibericht spricht von „mehreren Personen“, die sich „unvermittelt prügelten“, wobei ein 22-Jähriger einen Polizisten mit der Faust schlug, bis er unter Einsatz von Pfefferspray festgenommen werden konnte.

Aus dem Oldenburger Rathaus ließ Oberbürgermeister Schwandner gestern verlauten, die Sperrstunde biete die Chance, „konfliktträchtig gewordene Tages- bzw. Nachtzeiten zu entspannen“, die Zahl körperlicher Auseinandersetzungen „wirksam zu reduzieren“ und „damit einen Beitrag zu einer verbesserten Lebens- und Wohnqualität in der Stadt Oldenburg zu leisten“. Warum nur morgens zwischen fünf und sieben, bleibt rätselhaft. Kein Wort auch dazu, dass die Maßnahme schon jetzt als gescheitert betrachtet werden muss.

Der wackere Polizeiinspektionsleiter Kühme hingegen ging gestern trotzdem nochmal auf die Straße. Anlässlich des „Aktionstages für Zivilcourage und gegen Gewalt“ verkaufte er an der Seite der amtierenden Miss Germany am Ort des nächtlichen Prügelns Berliner in Papiertüten mit der Aufschrift „Gewalt kommt in Oldenburg nicht in die Tüte“. Eine Maßnahme, die dringlicher denn je erscheint. Ungefähr 48 Stunden zuvor flogen dort zuletzt die Fetzen. Jedoch ist Kühmes Einsatz nur noch Makulatur, denn seine Leute haben längst erkannt, dass es keinen Zweck mehr hat. Die Oldenburger Innenstadt jedenfalls scheint für sie ein Ort zu sein, an dem sich nachts unbezähmbare Wildtiere versammeln. Der – später gelöschte – einleitende Text in der Pressemitteilung der Polizei zu den Vorfällen in der Nacht auf Sonntag lautete: „Aufgrund der Temperaturen von ca. 5 Grad und keinem Regen war der Zoo in der Oldenburger Innenstadt wieder geöffnet.“