Kleider für die arbeitende Frau

MODE Die Prêt-à-porter-Schauen in Paris sind zu Ende gegangen. Zu entdecken war dort eine neue, alte Liaison von Mode und Modernität, die im Hosenanzug, den sämtliche Häuser in all seinen Variationen zeigten, ihr großes Defilee hatte. Jetzt will man wie alle anderen sein

So dicht am Stoff, so konzentriert auf die Kleiderfunktion der Mode war man lange nicht mehr

VON KATRIN KRUSE

Die Mode für den nächsten Winter hat eine neue Heldin: Es ist die arbeitende Frau. Sie wird Anzug tragen, also das Gleiche wie die Männer auch.

Der Hosenanzug war denn auch der rote Faden der Prêt-à-porter-Schauen in Paris, die eben zu Ende gegangen sind. Was uns erwartet? Tweedhosen mit Jacketts, gemacht aus standfester Wolle. Jede Menge wehrhaftes Material war auf den Laufstegen zu sehen, in sachlich-elegante Silhouetten gebracht. Oftmals war es ein rasanter Sprung zurück in die Siebzigerjahre – aber die Bezüge sind so subtil gesetzt, dass es nicht vergangen wirkte, sondern modern. Überhaupt, das Moderne: Mit dem ist die Mode derzeit wieder befasst. Nur meint sie damit nicht wie bisher die eine neue Farbe oder die aktuelle Habenwollen-Tasche, sondern eher eine Haltung, oder besser: einen Typus. Sie hat ihn in der modernen Frau gefunden.

Wie richtig sie damit liegt, lässt sich schon an der Begeisterung ermessen, mit der man jetzt den Kollektionen applaudiert, in denen dieser Typus zu sehen ist. Allen voran beim französischen Modehaus Céline, wo die Britin Phoebe Philo ihre zweite Kollektion gezeigt und mit ihr das lange vergessene Modehaus in die erste Liga hinaufgespielt hat. Philo brachte ihr Defilee auf drei Begriffe: „Stark. Energisch. Reduziert.“ Zu sehen waren Variationen auf den Anzug: eine kragenlose, überlange Jacke etwa, seitlich geknöpft, mit einer Dreiviertelhose, die unten weit das Bein umspielte. Und es gab Kleider mit derselben formellen Sachlichkeit, die dem Anzug eigen ist – getragen übrigens zu Loafers mit festem Absatz, die im Vergleich zu den Killerheels der letzten Saisons als vernünftiges Schuhwerk durchgehen. Wer mit solchen Schuhen auf dem gepflasterten Weg bleibt, kann zur allergrößten Not auch auf Wanderschaft gehen – was wohl Céline Vipiana gefallen hätte.

Die hat Céline 1945 gegründet. 1979 sagt Vipiana, sie habe beim Entwerfen eine Frau wie sich selbst vor Augen: „Sie ist dynamisch, sie arbeitet, sie reist viel und sie verlässt sich nicht auf extravagante, allzu exzentrische Kleidung, um die Leute davon zu überzeugen, dass sie sei eine großartige Persönlichkeit ist.“ Könnte der Satz der Saison sein – und gleichzeitig erklären, warum die Siebziger derzeit so viele Modemacher umtreiben.

In den Siebzigern nämlich hat es letztmals einen Typus in der Mode gegeben, der zudem ein Versprechen bereithielt. Emanzipation war ja nicht die Aktion von einer, sondern von vielen – und die konnte man sehen. Die androgynen Anzüge waren die Uniform derer, denen die Berufstätigkeit nicht nur Selbstverwirklichung, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe versprach.

Die Silhouette der Siebzigerjahre war dabei keineswegs zufällig, genauso wie in den Zwanzigerjahren, als mit der Neuen Frau zum ersten Mal ein Kollektivtypus in die Welt kam. Bubikopf, knielanger Rock, tiefgezogene Taille, das war deren Erscheinung. Sie wurde symbolisch gelesen: Man begriff die neue Linie als Befreiung – vom Korsett, aber auch von einer überkommenden Idee dekorativer Weiblichkeit. Was hätte moderner sein können, als Teil dieses Umbruchs zu sein, folglich diesen Typus zu verkörpern?

Denn modern war ja nicht die Kleidung – modern war die Haltung, die in ihr zum Ausdruck kam. Dieser Typus hielt ein Versprechen bereit. So ist das einmal gewesen in der Mode. Und viel spricht dafür, dass es bald wieder so ist.

Auf den Laufstegen für den nächsten Winter waren also Siebzigerjahre-Silhouetten zu sehen. Die Models bei Yves Saint Laurent trugen alte YSL-Entwürfe als silberne Anhänger an langen Ketten um den Hals. Das Schweizer Modehaus Akris, sonst für architektonische Anleihen bekannt, zeigte Anzüge aus Doubleface-Kaschmir und Tweed – die Hosen hoch in der Taille, die Jacketts mit der langen, herrenhaften, leicht taillierten Lässigkeit der Siebzigerjahre. Stella McCartney bringt Zweiteiler jenseits der konventionellen Anzugform: ein Oberteil, fest wie eine Jacke, getragen zu Zigarettenhosen. Wobei es natürlich alle anderen Hosenformen auch noch gibt – Marlene, Jodhpur, Zigarettenhosen mit Aufschlag. Keine Form ist hier aus der Mode, alles geht – und eben doch nicht. Das ist das Aufregendste an dieser Saison: dass es plötzlich wieder einen gemeinsamen Nenner dessen gibt, was als zeitgemäß zu verstehen ist. Man muss diese neue, alte Liaison von Mode und Modernität auch als lebensrettende Maßnahme der Modeindustrie begreifen: Bloß neue Muster oder eine neue Farbe zu zeigen, das bringt heute keine mehr zum Kauf. Und globalisiert gesprochen gilt ohnehin: Die sachliche Eleganz ist die Notwehr des alten Europa.

Aber diese sachliche Eleganz ist eben auch viel interessanter als das, was die Mode in den letzten zehn Jahren umgetrieben hat: die Besessenheit mit dem Individuellen. Scott Schumann, mit seinem Blog The Sartorialist eine der bildprägendsten Gestalten der Modewelt, hält diese Eleganz schon seit längerem fest. Schumann fotografiert in New York, wo er zu Hause ist, ebenso wie in Paris, Mailand oder Rio, wo er die Modewochen besucht. Sicher, er fängt auch ein paar Poseure ein. Meist aber sind es Großstadtbewohner, eilig in ihrem Alltag, stets unterwegs, denen die Straße immer auch ein bisschen Behausung ist.

Es mochte anfangs so aussehen, als würde die Welt hier in eine gigantische Modestrecke überführt: als fände jetzt alles nur mehr im Gestus des „als ob“ statt. Doch es ist anders gekommen. Tatsächlich wird die globale Metropolenmode hier gleichzeitig abgebildet und überhaupt erst hergestellt. Wenn es einen Ort gibt, wo sich ein Typus formiert und die Bereitschaft zu ihm, dann hier. Schumann kann sich, ähnlich wie die Hunderte der Kommentatoren, über die Kombination zweier Blautöne, das Hochkrempeln eines Jackettärmels oder das Apartsein eines Cardigans begeistern. So dicht am Stoff, so konzentriert auf die Kleiderfunktion der Mode war man lange nicht. Was Schumann so gelingt, ist eine Momentaufnahme. Was er so einfängt, ist Modernität – genau so, wie Baudelaire im Aufsatz „Der Maler des modernen Lebens“ am Beispiel des Zeichners Constantin Guys beschreibt: als Erfahrung von Gegenwärtigkeit. Guys, ein Flaneur in der Menge, der schaut und das Gesehene nachträglich im schnell hingemalten Aquarell verdichtet, ist dieser „Maler des modernen Lebens“. Zeichnend rapportiert er nicht zuletzt die Veränderungen in der Mode. Die liefert nicht ihre eigenen Fußnoten zur Erklärung mit. Sie sagt nur: Jetzt, jetzt, jetzt.

Nach Allerlei aus aller Welt sah die Globalisierung der Mode an ihrem Anfang aus. Jean Paul Gaultier hat das auch in dieser Saison gezeigt: Mexiko trifft auf Haremshosen trifft auf Massai trifft auf Turban. Auch John Galliano brachte einen globalen Ethnomix. Die Kollektionen erinnern an die Zeit, als ein Modeschöpfer eine Reise tat und mit erquicklichen Eindrücken zurückkehrte, aus denen bunte Kleider wurden. Heute sagt die Kundin eher: Erspar mir deine Fantasien. Schließlich reist sie längst selbst. Und wer wollte auf den Straßen einer Großstadt schon aussehen wie ein Eskimo? Eben – keine mehr. Wie sieht sie jetzt aus, die Modernität? Man muss sie sich ein wenig so vorstellen wie Faye Dunaway in der Medienkomödie „Network“ von 1976: Deren Jerseyröcke mit Kellerfalte, die Seidenblusen waren ja nichts anders als das Vehikel ihrer hochtourigen Agilität. In ihnen nimmt Dunaway mit verschlungenen Beinen für die informelle Unterredung auf Schreibtischen Platz oder entflammt mit ausladender Gestik mürbe Kollegen für eine Idee. Sie ist weit ausschreitend und unverzagt – nicht das schlechteste Modell.

Der neue Typus ist dem ähnlich, den Céline Vipiana damals entworfen hat: Die Kleider sollen nicht mehr von der Persönlichkeit überzeugen. Das verspannte Bemühen, noch mit jeder Gürtelschnalle oder kunstvoll zerschlissenen Jeans eine Facette der Persönlichkeit auszudrücken, wird damit aus der Mode verschwinden. Lange genug war sie ängstlich mit dem Ausdruck des Individuellen befasst. Gut hat es ihr nicht getan: Denn Mode ist per definitionem das, was viele tun – Überschneidungen in der Garderobe sind da unausweichlich.

Das ist also die große Neuerung in der Mode: Das ängstliche Bemühen, anders als die anderen zu sein, wird abgelöst durch den Wunsch, zu sein wie die anderen. Nicht, weil man die Masse schätzt oder das Verschwinden in ihr. Sondern weil die anderen modern sind – wie man selbst.