: „An die Ära Baum anknüpfen“
INTERVIEW ANNIKA JOERES UND CHRISTOPH SCHURIAN
taz: Sie sind beide im Auftrag des Umweltschutzes unterwegs. Was würden Sie machen, wenn Sie ihre Rollen tauschen könnten?
Holger Ellerbrock: Das bürgerschaftliche Engagement in den Vordergrund stellen. Ich will später sagen können: Ich habe das Leben in NRW verbessert.
Josef Tumbrinck: Der Wahlkampf war emotional, wurde auch mit den Tieren geführt, mit dem Feldhamster. Als FDP würde ich mir den Emissionsschutz auf die Fahnen schreiben, Schutz der Menschen, das ist ein wichtiges Thema in NRW. Ich würde an die Ära Baum anknüpfen...
Ellerbrock: ... den FDP-Minister, nicht das Vegetationselement...
Tumbrinck: Dann will ich natürlich den Haushalt sanieren, das Personal reduzieren, Aufgaben wegdelegieren. Und versuchen, die Gruppen, die ich im Wahlkampf benutzt habe, zum Beispiel die Umweltgruppen, wieder einzufangen.
Das heißt also, das Verhältnis zwischen Umweltgruppen und FDP ist gestört?
Ellerbrock: Es gibt an manchen Stellungen Spannungen. Der BUND befindet sich in einer Fundamentalopposition zur jetzigen Regierung. Der Nabu ist hingegen ein ernst zu nehmender Gesprächspartner. Die einzelnen Gruppen können und dürfen nicht in einen Topf geworfen werden.
Tumbrinck: Wir haben uns maßlos über den Wahlkampf geärgert. Das Thema Feldhamster wurde missbraucht für emotionale Stimmungen. Die FDP hat das ausgenutzt um Wahlen zu gewinnen, jetzt erwarten wir eine andere Politik als im Wahlkampf. Ich sehe nicht, das die FDP jetzt guckt, was sie für die Natur leisten kann. Sie ist immer noch in der Opposition. Der Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke wendet sich immer noch an die Boulevardpresse, um den Umweltschutz schlecht zu machen.
Verstehen Sie die Verärgerung, Herr Ellerbrock?
Ellerbrock: Nein. Die Verärgerung kann ich nicht verstehen, dass diese Auseinandersetzung manch einen stört, schon. Fraktionschef Papke hat die Fähigkeit, Probleme zuzuspitzen und auf den Punkt zu bringen, dadurch wird vieles klarer.
Kann denn dadurch etwas klarer werden? Papke sagt, wir unterstützen keine Fledermausprojekte.
Ellerbrock: Das ist so nicht richtig. Die FDP ist der Überzeugung, dass das Land NRW aufgrund der katastrophalen finanziellen Situation, die Rot-Grün verursacht hat, solche Projekte nicht mehr finanziell unterstützen kann. Das heißt nicht, dass wir die Projekte an sich kritisieren. Wir haben, wozu auch die Verbände wie der Nabu eine Menge beigetragen haben, in den vergangenen Jahren viel erreicht. Wir sind jedoch der Auffassung, dass NRW beim Umweltschutz EU-Vorgaben 1:1 realisieren soll und nicht wie in der Ära Höhn immer noch draufsattelt.
Mit wir meinen Sie aber nicht die FDP?
Ellerbrock: Doch, damit meine ich auch die FDP.
Tumbrinck: Auf Bundesebene hat sich die FDP ja mal für Umweltschutz eingesetzt, nur hat sie es nicht bis heute durchgehalten.
Ellerbrock: Der nächste Punkt ist: Die alte Umweltpolitik ist gescheitert, das muss ich feststellen. Gescheitert deswegen, weil alles bis ins Detail geregelt ist. Wer sich heute mit Umweltfragen beschäftigen, muss unzählige Gesetze, Vorschriften und Verordnungen berücksichtigen.
Aber die Umweltprobleme sind eben nicht leicht zu beschreiben und zu lösen.
Ellerbrock: Die amerikanische Verfassung hatte eine DINA 4-Seite, allein die heutigen Arbeitsschutzgesetze umfassen mehrere Bände. Mein Ziel ist: Ein Umweltgesetzbuch mit 40 Paragraphen und 600 Zeilen.
Tumbrinck: Die amerikanische Verfassung ist kurz, aber auch da gibt es Bände, in denen Gesetze ausgelegt werden, die füllen Bibliotheken. Aber wir sind uns einig: Wir brauchen ein bundesweites Umweltgesetzbuch – nur ein umfangreicheres, als Sie es sich vorstellen.
Hat Herr Ellerbrock Recht? Sind die Vorschriften zu detailliert?
Tumbrinck: Natürlich können sie nicht von Artenschutz bis Emmissionshandel alles wissen, das geht nicht. Auch ich brauche meine Mitarbeiter, meine Ehrenamtlichen. Wir werden es nie auf eine Amtsstube reduzieren. Wichtiger ist, das alle Vorschriften in einem Buch systematisch zusammen geführt werden.
Ellerbrock: Ich will möglichst weg von gesetzlichen Detailregelungen. Das heißt Eigenverantwortung, Selbstkontrolle. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben fokussieren und sich aus der direkten Überwachungsfunktion zurückziehen.
Der Staat kontrolliert die Kontrolleure?
Ellerbrock: Ja.
Tumbrinck: Ich kann aber nur eigenverantwortlich handeln, wenn ich auch informiert bin. Als Verband, als Bürger, als Anwohner muss ich Bescheid wissen, das ist bisher nicht so. Dann kann sich der Staat auch zurückziehen.
Der Staat zieht sich ja schon aus dem Nabu zurück, im neuen Haushalt werden die Zuwendungen gekürzt...
Tumbrinck: Das ist etwas anderes. Der Landeshaushalt muss saniert werden, das erkenne ich an. Aber bei uns wird mehr gekürzt als bei anderen, das ist ungerecht.
Und die Landesgartenschauen werden weiterhin gefördert...
Tumbrinck: Das kann ich nicht nachvollziehen. Warum gibt das Land insgesamt fünf Millionen Euro für die Landesgartenschau aus?
Ellerbrock: Landesgartenschauen verbinden Wirtschaft und Ökologie optimal. Sie ziehen sieben Mal so viel privates Geld nach sich, wie das Land investiert hat.
Tumbrinck: Da muss es doch kreative Ideen geben, wie so etwas ohne staatliche Förderung zu stemmen ist, wenn da so viel privates Geld fließen kann.
Gehen die Investitionen und Einsparungen im Landeshaushalt in die richtige Richtung?
Ellerbrock: Als FDP und Holger Ellerbrock werbe ich dafür, noch schneller zu sparen, wir haben 112 Milliarden Schulden von Rot-Grün geerbt. Deshalb müssen wir viel stärkere Einschnitte machen. Wir müssen Landesbedienstete flexibler versetzen können, punktum. Steinkohlesubventionen müssen weiter gekürzt werden. Geltende Vereinbarungen müssen natürlich eingehalten werden. Aber man sollte jede Möglichkeit nutzen, gemeinsam mit den Konzernen, den Gewerkschaften und dem Bund für NRW nach schnelleren Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Subventionsbergbau zu suchen.
Tumbrinck: Bei der Kohle hätte die FDP stärker gegen die CDU halten müssen. Aus unserer Sicht hat die Regierung hier einige Trumpfkarten verspielt. Das Bergwerk Walsum stand im Frühsommer kurz vor dem Produktionsende. Da wurde der Steinkohle zu früh die Hand gereicht. Das ist ein Riesenpoker um Ewigkeitskosten und hochwassergefährdete Häuser.
Ellerbrock: Koalitionsverträge sind ein Geben und Nehmen. Wir werden uns an den Koalitionsvertrag halten.
Warum geben Sie den Verbänden weniger?
Ellerbrock: Verbände stehen vorrangig für Partikularinteressen und haben viel zu lange Mitbestimmungsrechte genossen. Das will ich zurückführen. Derjenige, der mitbestimmt, braucht eine politische Legitimation.
Tumbrinck: Zum Beispiel?
Ellerbrock: Wenn ich als Bürger betroffen bin, dann muss ich klagen dürfen. Das jetzt aber auch die Verbände Klage einreichen, ist der falsche Weg. Allein schon die Androhung einer Verbandsklage kann wichtige Infrastrukturmaßnahmen über Jahre verzögern oder gar verhindern – ein Beispiel dafür ist der Ausbau der A 33.
Tumbrinck: Damit sind sie aber auf der Verliererseite. Wir dürfen klagen, weil wir altruistisch Natur und Umwelt vertreten, die nun einmal nicht klagen können. Allein durch das EU-Recht werden Bürger in den nächsten Jahren massiv mehr Rechte erhalten, Bürgerinitiativen dürfen klagen. Dass die FDP uns das nicht zubilligen will, ist schon eine deutliche Aussage.
Herr Tumbrinck, vertreten Sie denn Partikularinteressen?
Tumbrinck: Wir vertreten die Interessen von Natur und Landschaft und zukünftigen Generationen. Wir gewinnen ja auch vor Gericht und das zeigt: Bei der Planung ist was schief gelaufen. Und wenn wir verlieren, dann zahlen wir ja auch die Gerichtskosten. Übrigens laufen derzeit nur drei Verbandsklagen: Gegen das Bergwerk Walsum, den Ausbau des Flughafens Münster-Osnabrück und gegen einen Bebauungsplan im Kreis Siegen.
Ellerbrock: Allein die Klagemöglichkeit kann oftmals bei den Behörden dazu führen, Planungen noch einmal zu überdenken. Wir brauchen eine selbstbewusste Verwaltung, die nicht sofort vor den Verbänden einknickt. Diese vertreten ja, wie Herr Tumbrinck schon sagte, etwa die Interessen der Natur. Ein Politiker vertritt hingegen alle Interessen.
Sie als Umweltpolitiker müssen doch die Interessen des Naturschutzes vertreten.
Ellerbrock: Aber nicht ohne die Gesamtinteressen zu vernachlässigen. Ich finde, Umweltpolitik ist ein gleichberechtigter Teil neben allen anderen und ich als Umweltpolitiker maße mir nicht an, ein Alleinbestimmungsrecht zu fordern. Mit den Grünen in der Regierung war der Umweltschutz oft das überbewertete Leitmotiv,
jetzt nicht mehr.
Wozu braucht die FDP dann einen umweltpolitischen Sprecher?
Ellerbrock: Sie braucht ihn, um den Bereich Umwelt im Konzert mit den anderen Bereichen sachgerecht zu vertreten. Nur wir vertreten nicht Partikularinteressen wie Herr Tumbrinck – ich nehme es meinem Nabu gar nicht übel, das ist seine Aufgabe.
Tumbrinck: Diese Interessen sind aber für alle Menschen wichtig, und nur wenn wir Umwelt, Soziales und Wirtschaft in Einklang bringen, sind wir auch zukunftsfähig.
Sie sagten „meinem“ Nabu. Sind Sie etwa Mitglied?
Ellerbrock: Nein. Ich bin zwar Mitglied in einem Naturschutzverband, der Arbeitsgemeinschaft Naturschutz Tecklenburger Land.
Tumbrinck: Und ich bin nicht in der FDP.