: Die Frau verliert jede Freude
Krise des Geldes, Krise der Bilder: Gerhard Friedls Filmessay „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“
Ein Koffer voller Geld gehört zu den beliebtesten Requisiten der Filmgeschichte. Wenn in der Realität Geldkoffer den Besitzer wechseln, sind Kameras selten zugegen. Noch schwieriger wird die Abbildung von Geldströmen, wenn sie rein virtuell sind: wenn eine Bank einer anderen Millionenbeträge überweist, Kredite fließen, Aktienkurse steigen.
Dafür, dass sich das Thema gegen eine filmische Umsetzung sträubt, haben in den letzten Jahren beachtlich viele Dokumentarfilmer versucht, die Ökonomie den Wirtschaftsteilen der Zeitungen zu entreißen. Filme wie „Wal Mart – The High Cost of Low Price“ und „Enron – The Smartest Guys in the Room“ beschränken sich auf eine Firma mit besonders skandalösen Geschäftspraktiken. Der kanadische Film „The Corporation“ wählt – halb ernst, halb ironisch – eine besonders geschickte Strategie der Personalisierung und analysiert Aktiengesellschaften wie einen Krankheitsfall. Seit Michael Moores General-Motors-Anklage „Roger & Me“ (1989) hilft Humor oft, das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber anonymen Wirtschaftsstrukturen zu überwinden.
Auch Gerhard Friedls Filmessay „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“ personalisiert Unpersönliches und entwickelt eine eigene Komik. Doch führt es bereits in die Irre, ihn als Dokumentarfilm zu bezeichnen. Auf der Bildebene betreibt Friedl strengen Minimalismus: Der Film besteht ausschließlich aus festen Einstellungen, langsamen Schwenks und aus dem Auto gefilmten Fahrten, als wolle die Kamera einfach nur ihre Fähigkeit vorführen, Weite und Tiefe des Raums zu vermessen. Man sieht Fabrikhallen, Truppenübungsplätze, Landebahnen, Straßen, Banken. Die Kamera folgt keinen Personen, zoomt nicht, ihre Schwenks und Fahrten haben kein Ziel.
Diese nicht-hierarchisierende Kameraarbeit findet ihre Entsprechung im Off-Kommentar. Völlig neutral reiht ein Sprecher Hauptsatz an Hauptsatz und verleiht wichtigen und unwichtigen Fakten die gleiche Bedeutung. Diese Mischung aus Lakonie und Genauigkeit entfaltet auf Dauer einen ungeheuer komischen Sog. Zu Beginn schwenkt die Kamera über eine Wiese und man hört: „Alfons Müller-Wipperfürth beginnt 1931 mit sieben Arbeitern und drei Nähmaschinen. Er verkauft die Ware vor Werkstoren, von der Ladefläche herab. Später hat er für jede seiner Filialen einen je eigenen Schlüssel. Nach Dienstschluss kommt er in die Verkaufsräume. Ist er unzufrieden, hinterlässt er eine Visitenkarte.“ Später heißt es: „Müller-Wipperfürth trennt die Nähte der Kostüme seiner dritten Frau auf. Er zeigt ihr, wie schlecht die Ware gemacht ist. Die Frau verliert jede Freude an ihrer Kleidung und trägt Lederkostüme. In der BRD hat Müller-Wipperfürth Steuerschulden. Bei einem Flug von Lüttich nach Linz am 14. März 1964 stürzt seine Beechcraft Queen Air bei einem Dorf in der Eifel ab. Nur er überlebt. In der orthopädischen Abteilung der Universitätsklinik in Köln wird er von Steuerfahndern verhaftet.“
Wie in Robert Bressons Film „L’argent“ die Handlung dem Weg eines gefälschten 500-Franc-Scheins folgt, so folgt Friedl Müller-Wipperfürth und streift dabei all die Namen, die mit den großen Wirtschaftsskandalen der BRD verbunden sind: Quandt, Flick, Herstatt, Stinnes, Thyssen, Kiep und Oetker – ohne dass man sie jemals zu Gesicht bekäme. Ständig versucht man dabei Verbindungen zwischen Text und Bild herzustellen. Oft bleiben die Bezüge rätselhaft.
Noch mehr verunsichert, dass die Bilder abstrakter sind als der Off-Kommentar, der kleinste Details aus dem Privatleben der Wirtschaftsbosse ausbreitet. Der Text ist letztlich anschaulicher als die Bilder. So wird die Abbildungskrise zum eigentlichen Thema des Films. Deshalb ist es am Ende auch unwichtig, ob Wolff von Amerongen wirklich Konkursdelikte begangen hat.
SVEN VON REDEN
„Hat Wolff …“, R: G. B. Friedl, BRD 2004, 73 Min. Im fsk Oranienplatz