: Einblick ins Lager
Verhörprotokolle aus Guantánamo mussten teilweise freigegeben werden
AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF
Vier Jahre eisernen Schweigens und Widerstands der Bush-Administration sind gebrochen. Das Pentagon musste nach einer richterlichen Anweisung vom Freitag vergangener Woche Dokumente freigeben, und mit ihnen 317 Namen der im US-Militärgefängnis auf Guantánamo, Kuba, festgehaltenen Terrorverdächtigen.
Der Öffentlichkeit übergeben wurden mehr als 5.000 Seiten mit Vernehmungsprotokollen, die das Pentagon auf seine Webseite stellte. Angeordnet hatte die Herausgabe der New Yorker Bundesrichter Jed Rakoff, der die Begründung für die Geheimhaltung, nämlich die Gefangenen und ihre Familien müssten geschützt werden, zurückwies. Er folgte damit einem Antrag der Nachrichtenagentur Associated Press.
Damit erhält die Öffentlichkeit einen Einblick in die Gefangenenverhöre in dem umstrittenen Lager. Die unredigierten Protokolle dokumentieren die Sitzungen der Militärkommissionen, bei denen Gefangene mit ihrem Namen oder einfach als „Festgehaltener“ angesprochen werden. Das Pentagon veröffentlichte hingegen keine vollständige Liste aller 490 gegenwärtig auf Guantánamo Inhaftierten. Die Namen sind über die Seiten der freigegebenen Dokumente verstreut.
Bei der Mehrheit der Anhörungsprotokolle handelt es sich um Mitschriften aus Gesprächen, die zum Ziel haben, herauszufinden, ob ein Häftling als „enemy combatant“, als „feindlicher Kämpfer“ klassifiziert werden kann. Diese Kategorie ist, so die Lesart von Juristen der US-Administration um Präsident George Bush, die Legitimation dafür, Guantánamo-Häftlinge nicht der Genfer Konvention über Kriegsgefangene zu unterstellen – sondern unbefristet und ohne juristisches Verfahren festzuhalten. Was den Terrorverdächtigen vorgeworfen wird und warum die meisten von ihnen seit 2002 in Guantánamo festgehalten werden, erfahren sie in den Verhören laut Protokollen nur auszugsweise. Auch die Quelle der Beweise bleibt in der Regel geheim. Nach Pentagon-Angaben soll rund einem Dutzend von ihnen der Prozess gemacht werden.
Die meisten Männer haben die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen und beteuern ihre Unschuld. Nur wenige bekennen sich zu Diensten für die Taliban und das Terrornetzwerk al-Qaida. Die meisten sagen, sie seien Bauern, Händler oder Ladenbesitzer, die von Kopfgeldjägern bei US-Streitkräften und deren Verbündeten angeschwärzt worden seien. Viele der Namen waren bereits in den letzten vier Jahren bekannt geworden, entweder durch Anwälte, Angehörige oder durch die Regierungen der Heimatländer der Gefangenen. Das US-Verteidigungsministerium hatte sich aber stets geweigert, diese Informationen von sich aus zu veröffentlichen.
Die nun im Internet einsehbaren Vernehmungsprotokolle waren zwar zuvor in Auszügen bekannt, allerdings waren sie bislang nur mit geschwärzten Namen veröffentlicht worden. Dagegen hatte die US-Nachrichtenagentur Associated Press, AP, seit 2004 unter Inanspruchnahme des so genannten US-Informationsfreiheitsgesetzes geklagt – und nun Recht bekommen.
Ein Sprecher der Task-Force „feindliche Kämpfer“ der amerikanischen Rechtsanwaltsvereinigung sagte am Wochenende, dass er hoffe, dass die Protokolle helfen, ein deutlicheres Licht auf die Zustände in Guantánamo zu werfen. Ebenso auf die Rechtmäßigkeit der Verhöre. „Wichtiger als die Namen der Gefangenen sind die Schlüsse, die wir aus den Protokollen ziehen können, nämlich wie die Gefangenen behandelt wurden“, sagte der Sprecher, Neal Sonnett.
Kürzlich hatte die Zeitschrift Time einen 84-seitigen Bericht mit Einzelheiten über schwere Misshandlungen eines Guantánamo-Häftlings veröffentlicht. Die Anwälte des Häftlings Mohammed al-Katani sehen darin eindeutige Folterbeweise.