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Archiv-Artikel

Ungestillte Sehnsüchte

ARGENTINIEN Norma Huidobro – weibliche Perspektive trifft männliche Diktatur. Das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse im Oktober kündigt sich an

VON ANDREAS FANIZADEH

In Argentinien ist der Film „El secreto de sus ojos“ des Regisseurs Juan José Campanella gerade der erfolgreichste seit 35 Jahren. 2,5 Millionen Zuschauer haben den Spielfilm über die Zeit vor dem Militärputsch gesehen, als die rechtsextremen Todesschwadron „Triple A“ die argentinische Demokratie durch fortgesetzten Terror diktaturreif schoss.

Es ist eine sehr brutale Geschichte, an deren Ende eine Militärdiktatur stand, die in den Jahren 1976 und 1983 planmäßig über 30.000 Menschen verschwinden – heimlich entführen und ermorden – ließ. Seit Campanella nun für sein Werk den Oscar in der Kategorie „Bester nicht englischsprachiger Film“ gewann, stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch bald ein größeres deutsches Publikum über den Film von diesen Vorgängen erfährt, die in Argentinien keineswegs abgeschlossen sind und von denen viele der engagierten Kulturproduktionen des Landes künden. Argentinien ist als diesjähriges Gastland auf der Frankfurter Buchmesse ohnehin besonders hervorgehoben. Kulturproduktionen aus diesem sehr europäisch geprägten südamerikanischen Land dürfen also auf gesteigerte Aufmerksamkeit zählen.

Und so machen sich denn auch die deutschsprachigen Verlage daran, neben Klassikern wie Juan Carlos Onetti (in einer schönen Werkausgabe bei Suhrkamp) eine ganze Reihe international bislang kaum bekannter argentinischer AutorInnen ins Deutsche zu übersetzen. Eine von ihnen ist Norma Huidobro. Ihr Roman „Der verlorene Ort“ spielt im äußersten Nordwesten Argentiniens, in einem Dorf in der Provinz Jujuy, 1.500 Kilometer von Buenos Aires entfernt.

Dort, in der von den mächtigen Gebirgszügen der Anden geprägten Grenzregion zwischen Bolivien und Chile, lässt Autorin Huidobro zwei sehr unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen: die junge in sich gekehrte Wirtin Maria Valdivieso und den feisten Ermittler Ferroni, angereist aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. „Maria Valdivieso mit ihren Augen aus Stein. Maria Valdivieso verletzt mit ihren Augen aus Stein die Augen der Menschen, die sie ansehen, der Menschen, die in ihre Augen aus Stein sehen. Aber Ferronis Augen verletzt Maria Valdivieso nicht, denn Ferroni ist stark und kann jeden Moment sie verletzen. Aber nein. Noch nicht.“

Der Roman handelt von langen Röcken, Humitas und Tamales, abwesenden Vätern, ungestillten Sehnsüchten und der Militärdiktatur. Ferroni ist auf der Suche nach Marias Freundin Matilde, hofft, über Briefe, die Matilde an Maria nach Jujuy schickt, eine Spur zu der Gesuchten in Buenos Aires zu finden. Doch Maria, elternlos, zwischen böser Großmutter und einer weißen indianischen Alten lebend, rückt sie nicht heraus. Es sind keine guten Zeiten, der Bulle Ferroni ist kalt, launisch und brutal.

Der Handlungsverlauf des Romans ist leider sehr vorhersehbar und wirkt konstruiert. Die Autorin, geboren 1949 in der Provinz Buenos Aires, ist Professorin für Literatur und leitet nach Verlagsangaben ein Schreibinstitut. Sie versteht sich zweifellos als Feministin, doch erscheinen ihre Umsetzungen zu gewollt. Auch die über das Buch immer wieder eingestreuten Liebesbriefe Matildes klingen mehr nach Kitsch als nach „Educación sentimental“.

„Der verlorene Ort“ befindet sich im Niemandsland der Literatur, nicht wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Man mag wegen der thematischen Positionierung – Diktaturverbrechen, Feminismus – mit Huidobro sympathisieren. Es wäre aber ein Fehlschluss, zu meinen, die politische Botschaft – Denunzierung männlicher, monströser Diktaturverbrechen – stünde über dem stilistischen Ringen um ein gelungenes literarisches Verfahren.

Norma Huidobro: „Der verlorene Ort“. Aus dem argentinischen Spanisch von Sybille Martin. Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, 236 Seiten, 18 Euro