: Die Sucht und das Risiko
Fall des vernachlässigten Elias im Familienausschuss: Großmutter hatte vor Drogenrückfall der Mutter gewarnt. Für Sorgerechtsentzug fehlten Beweise
von KAIJA KUTTER
Der Fall des dreijährigen Elias, der vor 14 Tagen von der Feuerwehr allein aus einer vermüllten Dulsberger Wohnung befreit worden war, wurde Ende vergangener Woche in einer nichtöffentlichen Sitzung des Familienausschusses weitgehend aufgeklärt.
Demnach hatte die drogenabhängige Mutter, die seit Elias‘ Geburt überwiegend clean gewesen war, am 15. Dezember bei einem Besuch im Jugendamt (ASD) selber eingeräumt, dass sie wieder rückfällig sei. Daraufhin vereinbarte die ASD-Mitarbeiterin für den 21. Dezember einen Wohnungsbesuch, stand später aber vor verschlossener Tür. Am 10. Januar schließlich gab Elias‘ Oma einen Hinweis, dass ihre Tochter wieder „auf Droge“ sei. Die Sozialarbeiterin versuchte am 12. Januar erneut in die Wohnung zu gelangen. Als dies nicht glückte, beantragte sie noch am selben Tag bei Gericht den Sorgerechtsentzug. Denn erst mit dem in der Hand kann sie das Kind mit Polizeihilfe in Obhut nehmen.
Allerdings dauerte es bis zum 23. Januar, bis der Antrag bei Gericht eintraf. Dieses bestellte einen Verfahrenspfleger für den Jungen, der ebenfalls vergeblich versuchte, in die Dulsberger Wohnung zu gelangen.
Wie Nord-Bezirksamtsleiter Matthias Frommann und ein Vertreter der Innenbehörde im Ausschuss darlegten, genügt nicht der bloße Verdacht auf Drogenabhängigkeit, um die Wohnungstür durch die Polizei öffnen zu lassen. Als das Familiengericht schließlich Ende Februar dem Sorgerechtsentzug zustimmte, tat es dies, weil die Fotos der Feuerwehr aus der inzwischen aufgebrochenen Wohnung – in der Spritzen offen herumlagen – überzeugten. Fromman räumte im Ausschuss ein, er hätte sich ab dem 10. Januar ein „pro aktiveres Verhalten“ seiner Mitarbeiterin gewünscht.
Anlässlich des Falls wurden die Bezirksamtsleiter am vergangenen Donnerstag in die Finanzbehörde zitiert. Der Leiter des Amtes für Bezirksangelegenheiten, Jürgen Warmke-Rose, und der Leiter des Amtes für Jugend und Familie, Uwe Riez, schilderten dem Ausschuss am Abend die dort erwogenen Konsequenzen aus dem Fall Elias.
Über das Gesagte gibt es verschiedene Versionen. Nach taz-Informationen hieß es, man werde künftig ein „Risikoprofil Sucht“ einführen und alle Fälle von unter siebenjährigen Kindern untersuchen, deren Eltern suchtabhängig und die nicht in einer Kita sind. Ein solcher Kita-Besuch, den Elias Mutter ablehnte, kann vom Familiengericht zur Auflage gemacht werden, damit das Kind bei den Eltern bleibt.
Laut Sozialbehördensprecherin Katja Havemeister ist jedoch keine hamburgweite Untersuchung dieser Art geplant. Die Bezirksamtsleiter hätten statt dessen versichert, dass künftig solche Fälle „zügig und intensiv bearbeitet“ werden. Nach taz-Informationen berichteten die sieben Bezirke von je acht oder neun Familien mit schweren Suchtproblemen. Würden alle Fälle alkoholsüchtiger Eltern addiert, stiege die Zahl stark: Der Verein „Sucht und Wendepunkt“, der per Telefon (☎ 0800/28 02 80 01) gezielt die Kinder Betroffener berät, geht davon aus, dass es in Hamburg rund 60.000 alkoholkranke Väter und Mütter gibt.
Als weitere Folge aus den bekannten Fällen von Kindesverwahrlosung sollen laut Havemeister ASD-Mitarbeiter eine Fortbildung „Fachkraft für Kinderschutz“ bekommen. Ferner sollen sie ab 2007 durch eine neue Software „Textbausteine“ erhalten, die helfen, Anträge bei Gericht unmissverständlich zu schreiben. Auch sollen die Führungskräfte der ASD eine Schulung in „Entscheidungsmanagement“ bekommen. Noch „erwogen“ werde, ob für alle ASD-Kräfte Supervision Pflicht wird.
Für die SPD-Jugendpolitikerin Andrea Hilgers hat die Ausschuss-Sitzung gezeigt, dass die Verbesserung der Qualität der ASD „am Anfang steht“.