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Archiv-Artikel

Ein Gespenst namens Voscherau

Die SPD leidet zunehmend an ihrem Altbürgermeister, der sich eine Kandidatur als Spitzenkandidat bei den nächsten Bürgerschaftswahlen weiter offen hält

Genervtes Abwinken: Nein, nicht schon wieder die Voscherau-Debatte. Kaum ein führender Sozialdemokrat mag sich noch äußern zu des Altbürgermeisters Ambitionen, noch einmal SPD-Spitzenkandidat zu werden. Fraktionschef Michael Neumann will damit nicht erneut behelligt werden. Und SPD-Landeschef Mathias Petersen kann sich nicht frei äußern – schließlich wäre er Voscheraus Konkurrent um die Bürgermeister-Kandidatur.

Henning Voscherau selbst zieht es vor, aus der Deckung heraus zu agieren und geschickt seinen Namen im Gespräch zu halten. Zuletzt im Berliner Tagesspiegel, der aus Voscheraus „Umfeld“ wissen will, es sei ihm ernst mit seiner Kandidatur. In der Hamburger SPD-Zentrale ist man sicher, dass dieses „Umfeld“ aus exakt einer Person besteht: Voscherau selbst. Was der Altbürgermeister, der sich als „bloßes Objekt“ sieht, vehement bestreitet: „Diese Spekulationen beruhen weder auf Äußerungen noch auf einer Entscheidung von mir“, klagte er der dpa. Und verschweigt dabei geflissentlich, dass er selbst es war, der mit seinem Angebot, der Partei als Joker zur Verfügung zu stehen, die Debatte erst in Gang setzte.

„Voscherau muss endlich erklären, was er will“, fordert der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Die Gespensterdiskussion um die unerklärte Kandidatur bringe die SPD in „eine schlechte Lage“.

Kahrs: „Es ist unmöglich, dass er sich nicht offen äußert.“

Doch Henning Voscherau will gerufen werden. Er weiß, dass er in der SPD-Spitze keine Verbündeten hat. Aber er hat den Rückenwind der Springer-Medien, deren Umfragen das gewünschte Ergebnis in die Öffentlichkeit befördern: Die Hamburger wollen, dass Voscherau noch einmal antritt. Kontrahent Petersen hingegen schneidet bei solchen Erhebungen schlecht ab. Zu wenig Profil hat er bislang gewonnen, gilt auch vielen Genossen als zu farblos. Seine Schwäche ist Voscheraus einzige Trumpfkarte. Und die ist er bereit, bedingungslos auszureizen. Er könnte überreizen. Voscherau gilt der Parteiführung als eitle Diva, zu selbstverliebt zur Teamarbeit. Und die kokette Art, mit der sich der Notar immer wieder ins Gespräch bringt, vergrätzt viele Genossen zusehends.

Fraktionschef Neumann setzt derweil alles auf eine Karte mit seinem Vorschlag, im Zweifel sollten die SPD-Mitglieder entscheiden. Sein Kalkül ist klar: Er rechnet damit, dass Voscherau kneift – zu groß wäre für den begnadeten Selbstdarsteller die Gefahr einer Blamage. Dieses Manöver birgt indes auch Gefahren, denn an der Basis ist der Ex-Bürgermeister beliebter als in der Parteiführung. Gelingt es Petersen nicht schleunigst, sich zu profilieren, könnte so mancher Sozialdemokrat geneigt sein, lieber mit Voscherau in den Wahlkampf zu ziehen, als völlig chancenlos. MARCO CARINI