Der Staat als Kindersitter

Frankreich kennt keine Rabenmütter. Die Frauen und der Staat ziehen die Kinder groß. Die Väter halten sich zurück

PARIS taz ■ Kind und Karriere sind für Französinnen keine Alternative. Beides ist erwünscht. Regierungen jeglicher politischer Couleur haben sich jahrzehntelang für die Berufstätigkeit von Frauen stark gemacht. Sie haben die Kleinkindbetreuung zu einer Angelegenheit des Kollektivs gemacht und Ganztagsschulen organisiert.

Die Allianz aus Müttern und Staat erweist sich als erfolgreich. Heute sind rund 80 Prozent der Französinnen erwerbstätig. Eine Frau bekommt im Schnitt 1,94 Kinder. Und 30 Prozent der Beschäftigten im Topmanagement sind Frauen. Damit liegt Frankreich weit über dem europäischen Durchschnitt.

„Rabenmütter“ gibt es in Frankreich nicht. Im Gegenteil: Es ist die Ausnahme, dass eine Mutter drei Monate nach der Niederkunft nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt. Auch für die Kinder beginnt dann meist ein langer außerhäusiger Alltag: in einer der Krippen – die nur Plätze für jedes dritte Kleinkind haben – oder bei einer Tagesmutter. Ab zweieinhalb Jahren kann das Kind in die Vorschule gehen. Mit drei Jahren sind weit über 90 Prozent der Kinder in der Maternelle. Dort lernen sie soziales Verhalten und, falls nötig, auch die französische Sprache.

Die Idee entstand wie vieles, was heute Frankreich bestimmt, bei der Libération – der Befreiung von der deutschen Besatzung. Um das Bevölkerungswachstum stand es miserabel. Charles de Gaulle forderte seine Landsleute auf: „Macht 12 Million Babys“. Die taten, wie ihnen geheißen. Und sowohl die Zahl der Babys als auch die der erwerbstätigen Frauen stieg. Während der „trente glorieuses“ – der erste drei Nachkriegsjahrzehnte – schuf der Staat eines der weltweit dichtesten Netze von Krippen und Vorschulen, mit Fachleuten für Vorschulkinder.

Die Stimmung änderte sich in den 80er-Jahren. Seither haben linke und rechte Regierungen versucht, auch bei der Kleinkindbetreuung Geld zu sparen. Statt Krippen und Vorschulen auszubauen, schufen sie individuelle Erziehungsbeihilfen sowie Steuernachlässe und andere Anreize für private Betreuungen.

Doch an der Erwerbstätigkeit von Müttern in Frankreich hat das nichts geändert. Zahlreiche Frauen an der Spitze führen heute vor, dass Kinder und Karriere zusammengehören. Unter ihnen die Sozialistin Ségolène Royal, die sich auf eine Kandidatur für die Staatspräsidentschaft vorbereitet. Sie hat vier Kinder. Und sie ist unverheiratet. Beides ist typisch für das neue Frankreich, wo mehr als 50 Prozent der Kinder außerehelich zur Welt kommen.

Am wenigsten haben sich die Väter gewandelt. Sie halten sich im Haushalt und bei der Kindererziehung stärker zurück als ihre Nachbarn. Doch auch die französischen Männer scheinen aufholen zu wollen. Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos fand 2004 heraus, dass mehr als 80 Prozent der Mittdreißiger bereit wären, Erziehungsurlaub zu nehmen. Vorausgesetzt, die finanziellen Einbußen sind verkraftbar. Doch die Löhne in Frankreich sind niedrig – vor allem die der Frauen. DOROTHEA HAHN