WASSERBOMBEN IM PARK, SCHOTTISCHE MELANCHOLIKER IM DAUERBETRIEB UND WARTEN AUF DAS GROSSE GEWITTER
: Immer heißer in der Endlosschleife

VON DETLEF KUHLBRODT

Alle Welt hatte sich auf dieses Wochenende fokussiert. Es sollte der Höhepunkt des Sommers werden. Während man jeden Nachmittag am Wrangelbrunnen lesend wartete, wurde es immer heißer. Man fühlte sich wie unter Drogen. Ein bisschen wenigstens, dafür aber auch kostengünstiger.

E. hatte Geburtstag auf der Studenteninsel, im Dreiländereck zwischen Treptow, Neukölln und Kreuzberg. Die meisten Gäste kamen aus Neapel, manche sprachen auch Spanisch, jemand rannte Seifenblasen blasend durch die Gegend. Luftballons allerorten. G. hatte eine Piñata aus Pappe und buntem Krepppapier gebaut. Die Piñata hatte acht Augen und hing am Ast eines Baumes. Die Augen der Menschen werden verbunden, dann wird man gedreht und muss die Piñata finden und mit einer Stange dagegenschlagen. Das geht so reihum, bis die Piñata kaputt ist und Süßigkeiten auf den Boden fallen. Ein schwarzer Slip war auch dabei.

Jemand hatte ein paar Plastiktüten mit Wasserbomben mitgebracht, die da und dort durch die Gegend flogen. Ein schwarzer Flaschensammler, ein junger Mann Ende zwanzig, kam zufällig des Wegs. Gerade als er fragen wollte, ob er die leeren Flaschen mitnehmen dürfe, bekam er eine Wasserbombe ab. Sie traf ihn an der Schulter und platzte sofort. Es war ein bisschen slapstickmäßig. Die Wasserbombe hatte ihn nur getroffen, weil sich die Person, der die Wasserbombe galt, gebückt hatte. Für einen Moment war alles still, niemand bewegte sich; der Flaschensammler war konsterniert. Wir auch. E. erklärte ihm, dass er nur zufällig getroffen worden war. Man rauchte zusammen und bevor der junge Mann wieder ging, fragte er tatsächlich „do you believe in god?“

In diesen Nächten konnte ich nicht schlafen, weil es so heiß war. Verschwitzt lag ich im Bett und stand wieder auf, legte mich aufs Sofa und stand wieder auf, döste eine Weile dann auf dem Balkon. In den Ohren steckten Kopfhörer. In den Kopfhörern war die neue Platte von Boards of Canada. Ich dachte an Harald Fricke, der mich vor sechseinhalb Jahren mit dem Musikerduo bekannt gemacht hatte. Die neue Platte der schottischen Melancholiker ist nicht so sperrig wie die anderen, die ich kenne. Nach zwei Stunden, in denen ich wohl gedöst hatte, fiel mir auf, dass ich immer nur das erste Stück des Albums in einer Endlosschleife gehört hatte.

Ich bewegte mich eigentlich kaum noch. Meist saß ich am Schreibtisch und spielte bei Wasser und Kaffee Internet-Billard. Nachmittags zum Lesen beim Brunnen. Ab und an dann im Supermarkt, wo’s schön kühl ist. Manchmal tauchten Sätze plötzlich im Kopf auf und wollten nicht weggehen. Zum Beispiel: „Sterni is not good. Sterni is bad!“ Komplett absurd eigentlich, da ich nie auf die Idee käme, Sterni zu kaufen.

Samstagabend gleitete man auf dem Fahrrad durch die leere Stadt wie durch einen Traum hin zum Freilichtkino Friedrichshain, in dem „Gloria“, ein Publikumshit auf der diesjährigen Berlinale, gezeigt wurde. Das Freilichtkino verfügt auch über Aschenbecher und eine Sitzkissenstation. Kurz schreckte man auf, weil es keine Zitronenbrause von Fritz gibt. Der chilenische Regisseur des Films „Gloria“ war auch dabei. Seit der Berlinale wohnt er in Berlin. Es geht um eine Liebesgeschichte. Die sympathische Heldin des Films ist sechzig. Irgendwann beginnt sie zu kiffen. Ältere Leute, die kiffen, sind gerade in Mode. In dem Film „Paulette“ wird das ja auch thematisiert. Ich war eher stoned von der Luft, die so gut roch.

Dann war es Sonntag. Abendveranstaltungen waren wegen der Hitze abgesagt worden. Alles war dann doch eher unspektakulär und gedämpft. Unbewegt saß man rum und wartete auf das Gewitter. Es war halb eins und immer noch dreißig Grad in der Wohnung.