Cicero in Wolfsburg

Das Bespitzeln von Redaktionstelefonen der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung ist nach wie vor umstritten. Datenschützer und Opposition halten das Vorgehen für überzogen und rechtswidrig

von Kai Schöneberg

Hier können Leser Anzeigen aufgeben, sich beschweren – oder sie versuchen, Informationen an die Redaktion weiterzugeben. Kaum aber wird ein Leser, der bei einer Zeitung anruft, davon ausgehen, dass er ins Visier der Staatsanwaltschaft gerät. Ob es rechtmäßig war, über mehrere Monate hinweg die Verbindungsdaten der Anrufe in der Zentrale der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung (WAZ) zu speichern, ist derzeit in Niedersachsen mehr als umstritten.

„Die Sache stank zum Himmel“, heißt es aus Ermittlerkreisen. Weil angeblich immer wieder interne Informationen der Polizei in der kleinen WAZ zu lesen waren, setzte die Polizei im Jahr 2003 und 2004 die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen und Bestechung in Gang (taz berichtete). Angeblich schmierten Redakteure der WAZ zwei Beamte – Vorwürfe, die die Zeitung, die zum Madsack-Verlag gehört, heftig abstreitet.

Für die Ermittlungen wurden neben der Zentralnummer der WAZ auch Handys und Diensttelefone von zwei Journalisten angezapft. Außerdem legten die Ermittler für die verdächtigten Beamten eine Akte mit einem fingierten Krankenhaus-Skandal aus und überwachten sie per Kamera. Aber die Lock-Aktion blieb ohne Erfolg: die verdächtigten Beamten waren im Urlaub.

Nicht nur Verleger- und Journalistenverbände protestierten gegen die Verletzung der Pressefreiheit. Auch Rainer Hämmer vom Landesamt für Datenschutz hält es für „unzulässig“, dass die Zentralnummer der Redaktion bespitzelt und so auch Unschuldige kontrolliert wurden.

Schlicht „rechtswidrig“ sei die Aktion gewesen, kritisierte gestern die Opposition, nachdem Innenminister Uwe Schünemann (CDU) im Innenausschuss seinen Standpunkt erläutert hatte. Der Grüne Hans-Albert Lennartz erinnerte an einen Beschluss des Landgerichts Potsdam, nach dem die Erfassung von Verbindungsdaten eines Journalisten des Magazins Cicero rechtswidrig war. Im vergangenen Jahr waren Cicero-Redaktion und das Wohnhaus eines Journalisten abgehört und durchsucht worden, weil die Zeitschrift aus einem Papier des Bundeskriminalamtes zitiert hatte. Die Staatsanwälte vermuten Beihilfe zum Geheimnisverrat.

Lennartz meint, der Fall sei auf die WAZ übertragbar, da es sich bei dem Vorwurf in Wolfsburg nicht um Straftaten von erheblicher Bedeutung handele. Telefonüberwachung sei nur bei Straftaten zulässig, die „mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität“ zuzurechnen seien und „den Rechtsfrieden erheblich stören“, heißt es in der Begründung des Potsdamer Gerichts.

Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) sagte gestern, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten sich „völlig ordnungsgemäß“ verhalten. Bei der Frage der Verhältnismäßigkeit wolle sie sich jedoch nicht „über die Einschätzung des Gerichts stellen“, das die WAZ-Aktion genehmigt hatte. Heister-Neumann plant, per Bundesratsinitiative den Schutz von Journalisten zu stärken. „Das ist doch widersprüchlich“, findet Heiner Bartling von der SPD: „Entweder etwas ist rechtmäßig – oder ich muss die Gesetze ändern.“