Jugendlich in Wuppertal

KONTAKTHOF Neue Erkundungen in ererbten Formen: Teenager proben ein Stück von Pina Bausch. Der Film „Tanz Träume“ hat sie dabei begleitet

Alles ist etwas weniger pathetisch und missionarisch als bei dem Film „Rhythm is it“ – zum Glück

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Noch nicht ausartikuliert sind ihre Körper. Auch sonst wirken sie zunächst zu jung. Diese Jugendlichen sollen „Kontakthof“ tanzen, ein Stück von Pina Bausch? Die können ja nicht mal geradeaus laufen, ohne zu schlenkern und zu zögern, hier- und dorthin mit Blicken, Hüften und Füßen auszuweichen.

Am Anfang des Films „Tanz Träume“ steht der Zweifel. Vor zwei Jahren begannen die Regisseurin Anne Linsel und der Kameramann Rainer Hoffmann die Proben in Wuppertal zu besuchen, in denen Jo Ann Endicott und Bénédicte Billiet, zwei ältere Bausch-Tänzerinnen, „Kontakthof“ mit Mädchen und Jungen zwischen 14 und 18 Jahren neu einstudierten. Es waren, wie man bald aus Gesprächen erfährt, weder im Tanz erfahrene Schüler, noch lag ihnen nahe, wovon das Stück erzählt.

Schaut man sich noch einmal schwarz-weiße Fotos der Uraufführung des Wuppertaler Tanztheaters von „Kontakthof“ 1978 an, sieht die breiten Kreuze der Tänzerinnen in ihren rückenfreien Kleidern, die verlebten Spuren in ihren Gesichtern und den Sex, der aus jeder Naht ihrer engen Kostüme drängt, dann fragt man sich: Wie soll das gehen mit diesen Jugendlichen?

Es war auch nicht einfach, zum Beispiel bei den vielen Berührungen, um die „Kontakthof“ sich dreht: um Griffe nach dem Anderen mit ganz unterschiedlicher und oft sich verändernder Bedeutung. Teils wird der Partner an der Rampe vorgeführt wie ein Pferd, das man gerade gekauft hat, hier, 1a Gebiss, so fest die Haare, knackig der Po, eine zynische Übersteigerung der Präsentation des Marktwerts jeder Person. Dann wieder gibt es erkundende Gesten, die nach Nase, Augen, Wangen und Ohren tasten, als ob das Gegenüber jetzt nur über die Fingerspitzen erfahren werden könnte. Ungeheuer vorsichtig sind da die Jungen und Mädchen. Ein andermal wieder verkehrt sich die tröstende und besänftigende Berührung in schnappende, beißende Zudringlichkeit.

Solche Szenen zu proben, kommt die Heranwachsenden hart an. Schamgrenzen müssen ständig überwunden werden, deren hartnäckige Existenz so wenig ins öffentliche Bild von Jugendlichen passt. Die Kontakthoftänzer waren zwar schon mal verliebt, wie sie erzählen, aber viel mehr als verlegene Küsse gab es da noch nicht. Die Bewegungen und Szenen, die die Choreografin Pina Bausch aus Erfahrungen generiert hat, sind jetzt zu Formen geworden, in die hineinzusteigen diese Generation, die mit dem Namen der Choreografin oft nicht viel anzufangen weiß, mit etwas jenseits ihres vertrauten Horizontes konfrontiert. Was dabei an Bildern herauskommt, ist oft eine neue Variante, die von anderem erzählt als die ursprüngliche Szene.

Glücklicherweise. Denn nichts wäre schrecklicher, als wenn die Formen, die bei Bausch doch so oft das körperlich Normierende der Sozialisation als Mann und Frau ausstellten und kritisierten, nun selbst zu Normen geworden wären. Pina Bausch, die im Juni 2009 starb, ist auch im Film dabei, sie kommt zu Probenbesuchen und kommentiert vorsichtig, was sie sieht: „Ihr hattet einen Überehrgeiz, dabei seid ihr am schönsten, wenn ihr so seid, wie ihr seid.“ Sie raucht und sieht sehr zerbrechlich aus.

Dass der Film nun nach ihrem Tod herauskommt, war für die Regisseurin Anne Linsel nicht vorauszusehen. Nun aber passt „Tanz Träume“ zu einer Diskussion, die ausgelöst durch den Verlust von Pina Bausch und Merce Cunningham im gleichen Jahr über das Weiterleben von Choreografien nach dem Tod ihrer Autoren und über das Gedächtnis im Tanz geführt wird. Der Film ist ein gutes Argument gegen die Angst vor der Musealisierung und für die Interpretation durch andere Tänzer. Denn obwohl er nur in winzigen Ausschnitten zeigt, was aus dem Stück „Kontakthof“ in dieser Besetzung wurde – dafür müsste man schon die Aufführung sehen –, erzählt er doch ganz famos davon, wie über die Auseinandersetzung mit dem Stück neue Prozesse angeregt werden.

Tanzfilme mit Jugendlichen neigen dazu, den Tanz als ein pädagogisches Instrument zu verklären, das nicht nur den Körper, sondern den ganzen Charakter fordert. In dem Film „Rhythm is it“ wird Disziplin hochgehalten als Königsweg aus allen möglichen Miseren. So missionarisch und pathetisch ist „Tanz Träume“ zum Glück nicht, alles wird eine Spur tiefer gehängt. Aber dass sich in der wöchentlichen Arbeit miteinander der Blick auf das eigene Leben verschoben hat, wird auch hier aus den Statements der Jungen und Mädchen klar.

Man erfährt nicht so viel von den familiären Hintergründen der Teilnehmer, aber das wenige überrascht dann doch. Ein Vater, der bei einer Gasexplosion starb; eine Flucht aus dem Kosovo; ein Leben als Roma in Wuppertal. Das alles bleibt flüchtig stehen, als hätten es auch ganz andere Geschichten sein können. Viel weiß der Film mit diesen in die Kamera erzählten Leben nicht anzufangen, als hätte das große Vertrauen der Jugendlichen die Filmemacher überfordert.

„Tanz Träume“. Regie: Anne Linsel, Kamera: Rainer Hoffmann. Deutschland 2009, 89 Min.