: Zurück zum Kerngeschäft
Vogelgrippe, Wirbelstürme, Klimawandel – ökologische Themen feiern ein Comeback. Doch warum hört man von den Grünen dazu nur so wenig? Ihr Ansatz ist zu begrenzt!
Parteien bilden sich entlang von Spaltungslinien in der Gesellschaft, anhand von fundamentalen Wert- und Interessenkonflikten heraus. So entstand die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert als Antwort auf die soziale Frage, und so brachte die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit neue soziale Bewegungen. Der behauptete Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie – kurzfristige Gewinninteressen versus nachhaltige Überlebenswerte – gab bis dato marginalen Gruppen Aufwind.
Als „Fundis“ wurden dabei zunächst einmal diejenigen bezeichnet, die an die Vereinbarkeit von kapitalistischer Wirtschaftsweise mit gesunder Lebensform nicht glauben wollten. Später strickten die „Realos“ daraus einen innerlinken Konflikt zwischen Reform und Revolution und stellten manchen Ökologen der ersten Stunde wie Herbert Gruhl und Baldur Springmann als Rechten oder Spinner ins Abseits.
Im Zentrum der umweltpolitischen Debatte stand damals in Frankreich genau wie in Deutschland der Kampf gegen Atomkraftwerke. Daraus ging das Zweckbündnis zwischen authentischen Umweltschützern und ehemaligen Linksradikalen hervor. Später war es dann der friedenspolitische Alarm gegen die nukleare Nachrüstung in Europa, der die Parteien am linken Rand der Sozialisten und Sozialdemokraten begünstigte.
Die umweltpolitische Agenda war, im engeren Sinne, bei den Grünen allerdings stets sekundär und eher in außerparlamentarischen Mitgliederverbänden wie dem BUND beheimatet. Oder im amerikanischen Sierra Club, der mit einer Dreiviertelmillion Mitgliedern die stärkste Gruppierung weltweit darstellt. Wer über die Umweltbewegung der Zukunft nachdenkt, sollte dorthin blicken, wo sie – wie die meisten neuen sozialen Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg – entstanden ist: in die Vereinigten Staaten.
Nach dem Erfolg des Buches „Silent Spring“ der Biologin Rachel Carson (deutsch: „Der stumme Frühling“), einer Streitschrift gegen den Pestizidgebrauch in der Landwirtschaft von 1962, organisierte die Woodstock-Generation so genannte Earth-Days, die auf ihrem Höhepunkt im April 1970 rund 20 Millionen Amerikaner auf die Beine brachten. Der Nixon-Regierung trotzte diese Bewegung wichtige Umweltgesetze ab: den National Environmental Act von 1969, den Clean Air Act von 1970, den Clean Water Act von 1972 und den Endangered Species Act von 1973.
Weitere Fortschritte der US-amerikanischen Ökobewegung konnten bis in die Tage von Bush senior und Bill Clinton/Al Gore verbucht werden. Die Umweltschützer heuerten Wissenschaftler, Rechtsanwälte und Lobbyisten an, sodass Gesetze nicht nur erlassen, sondern auch angewandt wurden. Mit dem Machtantritt von Bush junior war es damit jedoch erst einmal vorbei: Der Texaner führte sich im Weißen Haus auf, als sei er weiterhin nur Öl- und Industrielobbyist, und knabberte die Gesetze der 70er-Jahre an allen Ecken an. Auch will er in geschlossenen Naturreservaten Alaskas nach Öl bohren lassen. Doch selbst Bush muss angesichts explodierender Benzinpreise über alternative Energiequellen nachdenken, die auch nicht ausschließlich auf Atomkraft aufbauen können.
„Objektiv“ ist Grün also sehr wohl am Leben. Mehr noch: Ein Grund für die heutige Schwäche der Grünen liegt auch in ihrem relativen Erfolg im Norden der Weltgesellschaft, wo die Wasserqualität tatsächlich besser, bedrohte Tierarten gerettet und die Emissionen spürbar verringert wurden. Aus dem grünen Alarmismus, es sei dauernd fünf vor zwölf, und der Versagung des kindlichen Wunsches, es gebe ein Zurück zur unverdorbenen Natur, gingen realistische Strategien hervor, die den Konflikt Ökologie versus Ökonomie entschärften. Grün wurde Mainstream, und wenn Grüne heute mächtig sind, dann als Mehrheitsbeschaffer in Mehrparteiensystemen oder als hochspezialisierte Nichtregierungsorganisationen, jetzt auch auf dem internationalen Parkett. In den Städten etablierte sich zugleich ein grün-alternatives Wohlstandsmilieu, für das grüne Parteien eher kulturell als ökologisch attraktiv sind.
Ein dritter Grund für die Unauffälligkeit grüner Sprecher im aktuellen Ökologiepalaver zu Tierseuchen und Erderwärmung, Wasserknappheit, Wirbelstürmen und Gaspreisexplosionen ist auch in dem Umstand zu suchen, dass Ökologisches offenbar nicht in seiner ihm eigenen Unbedingtheit thematisiert werden darf. Stets müssen solche Themen wirtschafts- und sozialpolitisch angeschnitten werden, was bei uns etwa zur Frage führt: Bringt Ökologie Arbeitsplätze? Selbst Winfried Kretzschmann, der grüne Katholik aus Oberschwaben, der im März die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene bilden möchte, redet nicht von der „Bewahrung der Schöpfung“ und dergleichen. Mit dieser Formulierung setzen christliche Fundamentalisten den US-Präsidenten unter Druck, der sogar das Kyoto-Protokoll unterzeichnen soll, weil die Umwelt ihrer Meinung nach ebenso wie das ungeborene Leben zu schützen sei. Den amerikanischen Ökoaktivisten ist der Zuspruch aus der christlichen Ecke zwar unangenehm. Sie erkennen aber neidisch, wie jenseits von Umweltexpertisen ein weltanschaulicher Entwurf „aus einem Guss“ daherkommt und die Menschen bewegt.
Bei uns dagegen redet auch Kretzschmann von ökologischer Modernisierung, die man als „hartes ökonomisches Thema der Zukunft mitten ins Zentrum der Wirtschaft, des Mittelstandes und des Handwerks“ versetzen müsse. Das war die rot-grüne Ambition, an der sich die Nach-Woodstock-Deutschen Trittin, Künast, Höhn und andere versucht haben; nicht ohne Erfolg. Aber derzeit liegen wohl ökologische Probleme anderen Kalibers vor. Die US-Zeitschrift Science legte Daten und Prognosen vor, die das Abschmelzen der Gletscher in Grönland bestätigen und Befürchtungen über das Abschwächen des Golfstroms erhärten. Prozesse dieser Art könnten Konsequenzen haben, die dem Mittelstand in Baden-Württemberg und hellgrünen Jungwählern dann doch zu weit gehen dürften.
Gleichwohl müssen die Grünen zurück zu einem Kerngeschäft, das sie nie allzu konsequent betrieben haben: ohne den alten Alarmismus, wohl auch ohne Massenaufmärsche (wie vor 25 Jahren in Brokdorf). Aber doch so „fundamentaloppositionell“, wie es eine Methode ökologischen Denkens erfordert, dem die Ausfransung und der Opportunismus der Umweltbewegung immer schon zu weit gingen.
Wenn es den Grünen nach Fischer nicht gelingt, die von ihnen bisher kaum genutzte Expertise deutscher Ökoinstitute mit der weithin verkannten Verbandsmacht transnationaler Umweltverbände und einer realistischen Vision alternativen Lebens zu verbinden, könnten sie tatsächlich als reines Generationenprojekt in der Versenkung verschwinden. Dabei ist die ökologische Frage sogar der Stoff, aus dem eine alternative Außenpolitik erwachsen könnte.
CLAUS LEGGEWIE