Mehr als simples Körperdesign

Beim Feldenkrais ist die Bewegung klein und der Effekt groß. Die sanften Bewegungen können nicht nur körperliche Leiden lindern, sondern auch Denken und Fühlen verändern. Einführungen gibt es während der Berliner Feldenkrais-Woche im März

VON JULIA JOHANNSEN

Es ist simpel. Auf dem Rücken liegen. Den Kopf von einer Seite zur anderen rollen. Doch: Wie weit dreht sich der Kopf? Liegen die Schultern dabei auf dem Boden? Was macht der Bauch?

Es ist komplex. Der Feldenkrais-Lehrer stellt seinen Schülern viele Fragen und die Antworten sind unendlich. Jeder Schüler hat eine andere Antwort. So wie ein Kind das Laufen lernt, entdeckt der Mensch im Feldenkrais, seinen Körper mit größtmöglicher Leichtigkeit zu bewegen. „Manche Menschen glauben, sie seien nicht beweglich“, sagt der Feldenkrais-Lehrer Bernhard Mumm. „Bis sie Feldenkrais machen.“

Im Feldenkrais werden einfache und sanfte Bewegungen ausgeführt, meist im Liegen, aber auch im Sitzen oder Stehen. Die Schüler bekommen eine Aufgabe, wie zum Beispiel den Kopf zu drehen, und jeder führt die Bewegung seinen Möglichkeiten entsprechend aus. Es gibt kein Richtig und Falsch. „Für viele ist das ungewohnt“, sagt Mumm. „Kein vorgegebenes Bewegungsmuster zu haben, sondern zu beobachten: wie mache ich das und wie fühlt es sich gut an.“ Kann ich eine Bewegung auch anders ausführen als gewohnt und wie fühlt es sich am besten an, ist die entscheidende Frage. „Allein die Beobachtung, dass ich beim Zähneputzen immer die Schulter hochziehe, kann dazu führen, dass ich es beim nächsten Mal lasse und nach einer anderen und leichteren Bewegung suche“, erklärt Mumm.

Während der Gruppenarbeit werden die Schüler vor allem durch Worte angeleitet, in der Einzelarbeit berührt und bewegt der Lehrer den Körper des Schülers mit seinen Händen. Doch anders als in der Physiotherapie wird der Schüler nicht geführt, sondern Lehrer und Schüler experimentieren gemeinsam mit Bewegungsabläufen. Die Feldenkrais-Methode ist keine Behandlung, die ein Patient mit sich geschehen lässt, sondern ein Lernprozess, den der Schüler aktiv mitgestaltet.

Moshe Feldenkrais, ein israelischer Physiker und Judomeister, entwickelte seine Lernmethode nachdem er einen Fußballunfall hatte. Durch eine Knieverletzung im Gehen eingeschränkt, begann er die Anatomie des Körpers zu studieren und mit seinen eigenen Bewegungen zu experimentieren. Feldenkrais ging davon aus, dass ein Mensch, der lernt, sich effizienter, leichter und lockerer zu bewegen, damit auch sein Denken und Fühlen schult. Die vier Elemente Bewegung, Kinästhetik (Sinneswahrnehmung), Denken und Fühlen prägen nach seiner Ansicht die menschliche Persönlichkeit und seine Fähigkeiten. Die Elemente beeinflussen sich gegenseitig und sind eng miteinander verknüpft. Ist ein Mensch traurig, verändert sich auch seine Körperhaltung und seine Art, sich zu bewegen. Jedes Verhalten, jede Handlung und jedes Gefühl drückt sich im Körper aus. „Die Bewegungen sind gar nichts, sie sind idiotisch“, sagte Moshe Feldenkrais. „Ich bin nicht an beweglichen Körpern, sondern an beweglichen Gehirnen interessiert.“

Die meisten kommen wegen eines körperliches Leidens zum Feldenkrais. Doch die Feldenkrais-Methode sieht sich nicht als Therapie. „Wir arbeiten nicht mit Diagnosen, sondern mit dem ganzen Menschen“, sagt die Feldenkrais-Lehrerin Kirsten Jacobs. Viele sind überrascht, dass Rückenleiden oder andere Schmerzen durch Feldenkrais verschwinden. Aber das ist nur ein Nebeneffekt: „Es geht darum, mehr über sich zu erfahren und sich das Leben leichter zu machen“, sagt Jacobs.

Bei einer von Stiftung Warentest herausgegebenen Meta-Studie zur Wirksamkeit von alternativen Heilmethoden erzielte Feldenkrais ein sehr gutes Ergebnis. Laut Ratgeber kann die Methode beim Abbau von Stress helfen, Nacken- und Schulterschmerzen vermeiden sowie mehr Balance für Patienten mit Multipler Sklerose bringen. Auch in der bildenden Kunst, am Arbeitsplatz, in Schulen, im Sport, in der medizinischen Nachbehandlung und Prävention wird Feldenkrais erfolgreich angewandt. Kinder mit Wahrnehmungsstörungen und auch Erwachsene lernen durch Feldenkrais ihr Körpergefühl und ihre Selbstakzeptanz zu stärken. „Die Orientierung im eigenen Körper macht es leichter, sich auch in der Welt zu orientieren“, sagt Jacobs. Grundsätzlich können alle Menschen von Feldenkrais profitieren, die ihren Körper und seine Bewegungsmuster besser kennen lernen wollen.

In Deutschland lehren heute über 1.700 Lehrer die Feldenkrais-Methode. Doch Feldenkrais ist längst nicht so bekannt wie Yoga oder Pilates. „Im Trend sind Methoden, die zu einer besseren Haltung führen können“, sagt Mumm. „Viele Menschen sind vor allem am Körperdesign interessiert. Darum geht es im Feldenkrais nicht.“ Moshe Feldenkrais sagte über seine Methode: „Sich selbst zu erkennen scheint mir das Wichtigste, was ein Mensch für sich tun kann. Aber wie kann man sich selbst erkennen? Indem man lernt zu tun, nicht wie man sollte, sondern wie es einem selbst gemäß ist.“