kleine heinekunde (6 und Schluss)
: Nachwelt

Später, denkt Heine einmal, wird man auch die „beschissenen Windeln“ sehen wollen, die die „erste Hülle“ des Genies waren

„Er kann doch nicht verhindern, dass sein großer Namen einst gar oft zusammen genannt wird mit dem Namen H. Heine.“ Wessen „großen Namen“ annektiert Heine da? Natürlich „Wolfgang Göthe“. In der Zukunft, glaubt der damals Dreißigjährige, wird man ihn nicht zusammen mit dem Herrn Geheimrat nennen, sondern andersherum. Er weiß auch, was er der Nachwelt schuldig ist: Schon seit fünf Jahren schreibt er an seinen Memoiren – auch wenn die nie das Licht der Welt erblicken werden, weil die Familie ihn fürs Stillhalten gut bezahlen wird.

Goethe ist der große Rivale – eine durchaus einseitige Konkurrenz übrigens. Trotzdem gibt sich Heine siegesbewusst. „Die Zukunft gehört mir“, erklärt er seinem Verleger Kampe 1840. „Selbst wenn ich heute stürbe, so bleiben doch schon 4 Bände Lebensbeschreibung oder Memoiren von mir übrig“, da sind sie wieder, die viel beschworenen, die es vielleicht nie gab, die Geschichte eines Genies: „Das neue Geschlecht wird auch die beschissenen Windeln sehen wollen, die seine erste Hülle waren.“

Windeln sind nur interessant, wenn sie von historischen Figuren beschissen wurden und zu jedem Heros gehört die heroische Pose, das weiß Heine und nutzt es gleich, um Ludwig Börne abzukanzeln, seinen journalistischen Widersacher: „Börne ist zu guter Stunde gestorben. Alles achtet und ehrt ihn, sieht in ihm einen Apostel der Freiheit, der als Blutzeuge gestorben ist: als Verbannter! Ich frage Sie, bedarf es mehr, um der Nachwelt überliefert zu werden?“ Das war 1837, da war Heine schon in Paris – ein Apostel der Freiheit, ein Verbannter.

Heine kokettiert mit der historischen Mission. „Ich habe Grund zu glauben, dass, wenn noch etwas gerettet werden kann des deutschen Geistes, es durch mein Reden gerettet werden kann“, schreibt er mit seltsam überdehntem Genitiv in seiner „Religion und Philosophie in Deutschland“ und stellt sich seinen Zeitgenossen so beiläufig als Retter der deutschen Kultur vor. Die dauernd beäugte Nachwelt hat aber nicht mitgespielt, spricht von Goethe und Schiller, nicht Heine und Goethe. Das hatte lange mit Antisemitismus zu tun und mit der gewählten Außenseiterrolle – es bedarf eben doch mehr –, aber auch mit der Uneinheitlichkeit eines Werks, in dem das Genie oft im Sumpf der sprachlichen Beliebigkeit zu versacken droht, die Böswilligkeit zu oft zum Selbstzweck wird und es von Blümelein, süßem Lispeln so wimmelt, dass unsere modernen Augen davon tränen. Es bleiben die grandiosen ironischen Wendungen, aber die Nachwelt ist Heines Selbstbild nicht gefolgt.

Vor der letzten künstlerischen Kompromisslosigkeit hat ihn zu oft die Sorge zurückgehalten, mögliche Geldgeber zu verärgern: Für den Dichter Heine ist es eine Tragödie, dass er oft in der Pose des enttäuschten Liebhabers erstarrt ist. Sein grandioses „Die schlesischen Weber“ beweist, dass seine Fähigkeit viel weiter ging. Nicht die Nachwelt bleibt ihm etwas schuldig; er selbst hat sein Talent eingeschränkt. Das vermindert ihn als Autor – als Mensch macht es ihn umso faszinierender.

PHILIPP BLOM