: „Geistiges Unterhaltungsbedürfnis“
MULTITALENT Am 31. März feiert Fabian Hinrichs mit einer Vorlesungsperformance in den Sophiensælen Premiere
VON DAVID DENK
Mit Fabian Hinrichs kann man sich nicht allein treffen. Ausgeschlossen. Schon gar nicht als Journalist. Zum Interview in einem Charlottenburger Café hat der Schauspieler Nietzsche, Bernhard, Foucault, Morrissey, Pollesch, Dahrendorf, Lagerfeld, Montaigne und weitere, sagen wir der Einfachheit halber mal: Geistesgrößen mitgebracht: Bei X habe ich gelesen, Y hat gesagt – so geht das die ganze Zeit. Uff.
Einfach nur mal so ein bisschen quatschen ist nicht Hinrichs’ Ding, zumindest nicht jetzt, auch wenn er versichert, dass man mit ihm auch prima übers Saufen reden kann. Als man von ihm was vermeintlich Einfaches wissen will, nämlich wie seine Vorstellung von einem gelungenen Abend aussieht, stellt er eine Gegenfrage: „Hast du da eine? Also ich weiß nicht, es gibt da unterschiedliche. Es gibt ja nicht ‚den Abend‘, genauso wenig, wie es für mich ‚die Frau‘ gibt oder ‚das Auto‘.“
Hinrichs kommt gerade aus der Uni. Mit dem Fahrrad. Im Winter. Mit seinen geröteten Wangen, der Strickmütze und dem Rucksack sieht er beim Reinkommen aus wie ein Schuljunge nach einem grotesken Wachstumsschub.
Das Politikstudium am Otto-Suhr-Institut der FU ist schon sein drittes, nach der Schauspielausbildung in Bochum und einem Diplom in Jura. Hinrichs ist geladen, ein bisschen mehr noch als sonst, denn eben im Seminar haben Kommilitonen einem seiner Weggefährten Gewalt angetan. Ein ganz schlechtes Referat über Machiavelli habe er gerade gehört, und als könnte er es immer noch nicht fassen, wie Menschen so ignorant sein können, wiederholt er: „Ganz schlecht.“
Während Kollegen in Drehpausen Playstation spielen oder DVDs gucken, liest der 35-Jährige, aber nichts Belletristisches, „das wird schon abgedeckt durch die Schauspielerei“, sondern wissenschaftliche Literatur, „zur Entspannung“, wie er sagt, „Schadensbegrenzung“ trifft es besser. Kaum auszudenken, wie Hinrichs drauf wäre, wenn er nicht regelmäßig Dampf ablassen könnte. „Enzensberger hat das mal geistiges Unterhaltungsbedürfnis genannt – das habe ich auch, genau wie ein körperliches“, sagt er. „Wenn ich mich nicht ausleben dürfte, beim Drehen, in der Uni oder beim Sport“ – Hinrichs läuft jeden Tag eine Stunde und macht hinterher noch 60 Liegestützen –, „würde ich Dummheiten begehen, die ich auch schon begangen habe, wirklich objektiv, ohne mich interessant machen zu wollen, mit richtig dummen Konsequenzen, auch strafrechtlicher Art.“ Ins Detail gehen will er lieber nicht, aus Rücksicht auf seine Eltern, sein Vater ist Polizist.
Hinrichs aufgrund seiner Statur als „schlaksig“ zu bezeichnen, wäre nicht komplett falsch, aber auch reichlich irreführend, schwingt in der Formulierung doch eine Lockerheit mit, die ihm abgeht. Fabian Hinrichs ist die Spannung in Person.
Auch wenn er wie jeder Schauspieler, der was auf sich hält, großen Wert auf eine klare Grenzziehung zwischen seiner Person und seinen Figuren legt, wirken viele davon wie zugespitzte, verschärfte, ungebremste Variationen seiner selbst, ausgestattet mit einer beängstigenden virilen Wucht. Eine Wirkung, der sich auch die Deutsche Filmakademie nicht entziehen konnte. Für die Darstellung eines durchdrehenden Bankangestellten in Maximilian Erlenweins „Schwerkraft“, der am Donnerstag in die Kinos kommt, wurde Hinrichs gerade für den Deutschen Filmpreis nominiert, den Max-Ophüls-Preis hat er schon. Gut möglich, dass er jetzt, nach Jahren am Theater – Volksbühne, Münchner Kammerspiele, Schauspielhaus Zürich –, die Filmkarriere macht, die schon 2005 mit seiner Rolle des Hans Scholl in „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ hätte beginnen können, eigentlich müssen. Doch Hinrichs wollte damals nicht. „Ich hätte mich geschämt, auf dem Widerstandskämpferticket Karriere zu machen“, sagt er. „Da hätte ich lieber gekellnert. Und das ist mein Ernst.“
Ganz so mühsam musste er sich dann doch nicht durchschlagen. Als er noch an der Volksbühne engagiert war, ist er mit Frank Castorfs „Endstation Amerika“ drei, vier Jahre um die Welt gereist, Südamerika, Asien, und hat die Gastspiele zum Anlass für längere Rundreisen genommen. „Eine unersättliche Gier nach Kommunikation und Austausch, von Körperflüssigkeiten, aber auch von Gedanken“ treibe ihn an, sagt Hinrichs, der nicht anders kann, als sich im nächsten Satz gleich wieder selbst zu zerlegen: „Warum will man dauernd etwas teilen, wo man doch weiß, dass nichts zu teilen ist? Außer in ganz wenigen Momenten, in denen man lebendig ist, in der Sexualität etwa, aber auch da nur manchmal. Mir ist klar, dass ich allein bin auf dieser Welt, ich will es aber nicht sein. Ich will aber auch nicht jemand sein, der nicht allein sein will. Ich wäre gern jemand, der zur Kenntnis nimmt, dass er allein ist, und darunter nicht leidet.“
Es ist die Tragik des Fabian Hinrichs, dass er es sich selbst nicht leichtmacht, die anderen aber immer nur sehen, wie schwer er es ihnen macht mit seiner Art. „Der Herr Schauspieler“ nannten ihn seine früheren Mitschüler beim zehnjährigen Abiturtreffen vor ein paar Jahren. Es war nicht liebevoll gemeint. „Allein die Vorstellung, dass man anders ist, macht die Leute phobisch, jagt ihnen Angst ein“, hat Hinrichs festgestellt.
Am 31. März feiert Fabian Hinrichs’ Performancereihe „Ein Koffer voller Schmerzen“ in den Sophiensælen Premiere. An drei Abenden wird er Vorlesungen halten, er hat gut 300 davon in seiner Audiobibliothek, „die lerne ich perfekt auswendig, mit jedem ‚Äh‘ und jedem Huster, und präsentiere sie dann, aber nicht kabarettistisch, auch nicht wertend, aber auch nicht nüchtern, sondern so, wie ich das mache, mein-Style-mäßig.“
Sollte es noch eines Belegs dafür bedurft haben, dass Fabian Hinrichs kein gefälliger Typ ist, wäre er mit diesem Hobby wohl erbracht – wobei: Was heißt hier Hobby? Menschen wie Fabian Hinrichs kennen keinen Feierabend und daher auch keine Hobbys. Alles, was sie tun, tun sie, weil sie nicht anders können. Ob man ihn deswegen bemitleiden oder beglückwünschen sollte, ist eine Frage der Perspektive. „Es gibt nichts Gutes oder Schlechtes“, sagt Hinrichs. „Erst Denken macht es dazu.“