Auferstanden im Eis

Nach dem Sieg der Hertha in Bremen denkt Trainer Falko Götz bereits wieder an den Uefa-Cup. Die Gastgeber versuchen derweil noch immer, ihr Aus in der Champions League zu verarbeiten

AUS BREMEN JENS FISCHER

Geht ein Boxer K. o., wird er mit einer Schutzsperre belegt, um weitere Niederlagen sowie Folgeschäden fürs Image und den Körper zu verhindern. Nach einem technischen K. o. sind bis zu drei Monate Zwangspause möglich, in denen sich der Faustkämpfer regenerieren kann. Im Fußball gibt es diese Maßnahme nicht. Da sind angeschlagene Mannschaften nicht gefährlich, sondern allenfalls gefährdet; Fußballer haben sich dem Zwang dicht gepackter Dienstpläne zu ergeben. Hertha BSC hat das am Samstag nicht viel ausgemacht. Sie haben bei Werder Bremen 3:0 gewonnen. Völlig überraschend.

13 Pflichtspiele lang war Hertha BSC erfolglos einem Sieg hinterhergelaufen, der Trainer stand vor dem Rauswurf – nun gelang ausgerechnet bei Werder ein klarer Sieg. Berlins Coach Falko Götz wollte am Tag nach dem ersten Dreipunkteerfolg seit dem 4. Dezember 2005 nicht alles positiv sehen: „Es war nur der Anfang. Wir brauchen weiter Punkte.“ Doch der Chefcoach sagte auch: „Nach wie vor gilt: Wir wollen in den Uefa-Cup.“ Hertha solle nicht zurück-, sondern in die Zukunft schauen, forderte Götz. „Was in den letzten Wochen passiert ist, möchte ich nicht kommentieren.“ Mit seinem dritten Sieg als Hertha-Trainer beim SV Werder nach 2002 (3:0) und 2005 (1:0) sah sich Götz bestätigt: „Ich habe nie den Glauben an die Mannschaft verloren. Sie hat das Konzept optimal umgesetzt. Nach sehr, sehr viel Pech in der Vergangenheit ist sie heute endlich belohnt worden.“ Belohnt – und beschenkt von einer indisponierten Bremer Abwehr.

Gegen Werders Abseitsfalle stichelte man mit einer gezielten Kontertaktik – und mit Yildiray Bastürk als dem besseren Marcelinho. Nach den beiden Toren gegen Köln spielte auch Marko Pantelic wie befreit auf, sehr schnell und technisch wendig lief er der Werder-Abwehr wiederholt davon – mit einem Marcelinho-Pfostentreffer und zwei Tim-Wiese-Glanzparaden als Folge.

„Wir wollen eine Reaktion sehen“, hatte es in Berlin vor dem Spiel geheißen – und die Fans bekamen eine. Der junge Sofian Chahed überzeugte auf der Position des derzeit verletzten Niko Kovac und Pal Dardai im defensiven Mittelfeld, der 19-jährige Boateng markierte sein zweites Bundesligator. Und selbst Marcelinho durfte sich vor 37.728 Zuschauern wieder in die Torschützenliste eintragen.

Werder-Torhüter Tim Wiese war auch an der Wiederauferstehung der Berliner beteiligt. Erst dankte er den herzensguten Bremer Fans, die ihn mit „Wir sind Tim Wiese“-Sprechchören tröstend aus Turin empfangen hatten, dann patzte er beim 0:1 erneut. Er flog an Kevin Boateng vorbei, der einen Marcelinho-Freistoß mit dem Kopf verwandelte (54.). In der Folgezeit hatten auch die Grätscher Frank Fahrenhorst und Christian Schulz, der defensiv unwillige Patrick Owomoyela und Naldo keine Lust mehr, ihren Torwart zu schützen. Herthas Stürmer liefen ungehindert zu dritt auf ihn zu, ein Mal schob Marcelinho (76.), ein Mal Bastürk (83.) ein. Der Brasilianer sank nach seinem Tor am Mittelkreis auf die Knie, betete, bekreuzigte sich – und veredelte seine ansonsten eher schwache Leistung mit einer großen Show.

Trainer Falko Götz hatte mit seiner Beschönigungstaktik den Spielern in den Wochen zuvor immer ein Alibi für schlechte Leistungen geliefert, jetzt konnte er behaupten: „Ich habe immer an sie geglaubt.“ Er habe das Team nicht wachrütteln, im Training nichts anders machen müssen. Man sei nur einfach mal „verdient belohnt“ worden, sagte Götz nach dem Spiel. Die Berliner fanden als Mannschaft zu sich selbst zurück.

Bei Werder hatte indes kaum etwas funktioniert. Die Bremer inszenierten trotz Feldüberlegenheit ein erschreckendes Fehlpassfestival. Man konnte es anhand der Zwischenstände aus den anderen Stadien schon ahnen. Immer wenn Bayern Punkte liegen lässt, fühlt sich Werder zum Herumgurken veranlasst. So wie Stürmer Ivan Klasnic die Bälle immer schön weich ins Nichts servierte, sich körperlich nie durchsetzen konnte, war er ein Symbol der Bremer Niederlage. Ebenso Torsten Frings; der wühlende Dampfmacher auf der rechten Seite donnerte sich nach jedem missglückten Abspiel die Hand derart an seinen Kopf, dass der nächste Pass noch weniger gelingen wollte – was Schulz dazu animierte, auch mal einen Freistoß aus der Abwehr heraus gleich ins Aus zu schießen. Der schnelle und gefährliche Spielaufbau war durch personelle Umstellungen zum Erliegen gekommen. Das System Werder ist und bleibt anfällig, wenn arrivierte Kräfte fehlen. Daniel Jensen gelang als Baumann-Ersatz wenig, Vranjes als Micoud-Ersatz gar nichts.

Pfiffe schon zur Pause. Höchste Saisonniederlage zum Schlusspfiff: 0:3. „Es wird bestimmt niemand mit einem Knüppel vor der Mannschaft stehen und alles in Frage stellen. Diese Mannschaft hat eine zweite Chance verdient. Wir werden aber auch vor den Problemen nicht die Augen verschließen“, sagte Werder-Manager Klaus Allofs. Beim Boxen wäre es nicht zum doppelten Knock-out gekommen. Im Fußball geht so was. Aber Werder wird wieder aufstehen. (mit DPA)

Werder Bremen: Wiese – Owomoyela (63. Valdez), Fahrenhorst, Naldo, Schulz – Frings, Daniel Jensen (82. Andreasen), Micoud (40. Vranjes), Borowski – Klose, Klasnic Hertha BSC: Fiedler – Chahed, Friedrich, van Burik, Fathi – Boateng, Schröder – Bastürk (90. Cairo), Gilberto – Marcelinho (83. Neuendorf), Pantelic (76. Sverkos) Zuschauer: 37.728; Tore: 0:1 Boateng (54.), 0:2 Marcelinho (76.), 0:3 Bastürk (83.)