: Bitte nicht berühren!
Aus dem Alltag gerissen: In seiner ersten Ausstellung versucht Industriedesigner Konstantin Grcic, die von ihm entworfenen Stühle, Kugelschreiber und Plastikmülleimer zu präsentieren, ohne sie auf ein museales Podest zu stellen. Begegnung mit dem deutschen Shootingstar der Designszene
VON SANDRA HOFMEISTER
Ohrenbetäubender, blecherner Lärm dröhnt aus der zentralen Halle. Im Münchner Haus der Kunst herrscht Aufbauchaos: Emsige Menschen in blauen Arbeitsanzügen hämmern gegen Stahlträger. Sperrige Regale werden aufgestellt, Lampen montiert, und auf dem dunkelroten Marmorfußboden stehen überall Kisten und Kartons herum. Wo die Nazis einst die Maler des deutschen Schamhaares feierten, sind demnächst Konstantin Grcic’ Dinge des Alltags zu sehen.
Plastikmülleimer in allen Größen und Farben werden den neoklassizistischen, monströsen Saal des früheren Propagandabaus bevölkern, Kaffeemaschinen und Wäschekörbe, Kugelschreiber und andere Gegenstände mitten aus dem Leben. „Dieser Raum ist wirklich nicht einfach“, sagt Grcic wie zu sich selbst und runzelt die hohe Stirn, dass sich die Augenbrauen über den Rand seiner markanten Brille schieben. Zwischen all den Helfern, die seine Ausstellung aufbauen, wirkt der blasse Designer in Jeans und dunklem Samtjackett beinahe verloren. „Auf ein museales Podest wollen wir unsere Arbeiten auf keinen Fall stellen“, meint er und lässt seinen Blick über das laute Durcheinander im Saal schweifen, ohne Halt zu finden.
Grcic – richtig ausgesprochen klingt sein Name so, als ob man die letzte Silbe verschluckt oder mit einem Niesen unterdrückt hätte. Als deutscher Shootingstar der Designszene hat Konstantin Grcic mittlerweile auch den richtigen Pass für dieses Etikett. „Staatsangehörigkeiten gab’s schon einige, aber inzwischen bin ich Deutscher“, sagt er, und ein Grinsen huscht über sein Gesicht.
Aufgewachsen ist Grcic in Wuppertal und zur Ausbildung ging er nach London. Nach dem Studium am Royal College of Art arbeitete er im Büro von Jasper Morrison. 1994 entwickelte er dann seinen ersten eigenen industriell produzierten Gegenstand – einen Papierkorb aus Kunststoff. Seitdem gestaltet Grcic Alltagsgegenstände, die jeder braucht und täglich um sich hat. In seinem Atelier entwirft er Tische und Lampen, Kugelschreiber und Kaffeegeschirr. Zu finden sind diese Dinge normalerweise nicht im Museum, sondern im Schreibwarenladen um die Ecke oder in der Haushaltswarenabteilung eines Kaufhauses. Natürlich weiß kein Verkäufer, dass es sich um Grcic-Design handelt. Bei den Möbeln ist der Bekanntheitsgrad des Designers höher: Sie werden seit einigen Jahren euphorisch auf internationalen Messen gefeiert und sind längst in namhaften Sammlungen wie der des New Yorker Museum Of Modern Art (MoMa) oder des Centre Pompidou in Paris vertreten.
Grcic’ Auftraggeber kommen aus Mailand, Tokio oder Heidelberg. Vor fünfzehn Jahren gründete der Gestalter die Firma Konstantin Grcic Industrial Design (KGID), und fast wie durch ein Wunder befindet sich sein Büro heute immer noch zwischen den Import-Export-Läden am Hauptbahnhof. Viele Preise, Anerkennung in der internationalen Designszene und darüber hinaus haben Grcic zum Phänomen gemacht. Doch die Ausstellung im Haus der Kunst sei etwas ganz Besonders für ihn, beteuert er ernst und blickt schüchtern zu Boden. Zur Eröffnung wird Rem Koolhaas sprechen, dessen Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture seit kurzem mit zur langen Liste der Auftraggeber zählt.
Einige Gegenstände sind schon ausgepackt und in einem lang gestreckten Saal hinter der großen Halle aufgereiht. „Chair_ One“ zum Beispiel steht da schon, ein staksiger Stuhl aus kantigem Aluminium, der aussieht wie das Gerippe einer Sitzgelegenheit. Oder die Fantasie malt ihn sich aus als etwas, was von einem Stuhl nach einer Hollywood-ähnlichen Naturkatastrophe übrig geblieben ist. Zum Sitzen lädt die eigentümlich spröde Konstruktion keineswegs ein. Ihr Charme erschließt sich erst auf den zweiten Blick oder wenn man sich doch mal darauf setzt: Dünne Riemen aus Druckgussaluminium fangen den Körper auf, umschließen ihn mit festem Griff und lenken ihn in eine Position, aus der man nicht mehr aufstehen möchte. „Wir haben uns auf ein Ideal von Schönheit – oder wie diese Dinge eben auszusehen haben – geeinigt, und es gibt wenig Polarisierendes“, resümiert Grcic die allgemeine Situation im Industriedesign. Sein „Chair_One“ scheint diese Lücke offenbar gezielt zu schließen. „Mir ist das im Moment alles etwas zu einerlei und zu beliebig“, fügt er noch hinzu. Grcic mag klare Statements, die sich vom Mittelmaß absetzen und festgefahrene Vorstellungen oder Gewohnheiten hinterfragen. Auf der Möbelmesse in Köln präsentierte der italienische Hersteller Magis den „Chair_ One“ unter Scheinwerferlicht auf einem Podest.
Vor zwei Jahren kam der stapelbare Stuhl aus rostschutzbehandeltem, polyesterlackiertem Druckgussaluminium mit Beinen aus eloxiertem Aluminium auf den Markt. Heute gilt er bereits als „Ikone des internationalen Designs“ (Art-Magazin), die selbstverständlich auch bei eBay erstanden werden kann. In neuem Zustand für 184 Euro. Als das De Young Memorial Museum in San Fransisco kürzlich eröffnete, setzten sich die Basler Architekten Herzog & De Meuron für Grcics Stuhl in den Außenbereichen ein.
Das Warten und kurzzeitige Verweilen an öffentlichen Orten, die in Bezug zu architektonischen Räumen stehen, ist die eigentliche Bestimmung des „Chair_One“. Seine Funktion ist genau wie die der meisten Sitzmöbel von Grcic so differenziert, dass traditionelle Klischees von Bequemlichkeit nicht mehr greifen. Drei Jahre dauerte die Entwicklung des Aluminiummöbels – ein ständiges Überarbeiten und Überdenken. Und ein fortwährender Dialog mit hoher finanzieller Risikobereitschaft seitens des Auftraggebers. Denn für die Produktion wurden eigens riesige Maschinen gebaut und nach Europa verschifft. Die technische Herstellung wäre ohne sie nicht möglich.
„Seit sicher zehn Jahren habe ich auf so eine Chance gewartet, weil sie sehr selten in der Branche ist, die immer noch sehr manufakturell bestimmt ist“, sagt Grcic respektvoll. Sein Traum, ein Möbel zu entwerfen, das komplett von Maschinen hergestellt wird, hat sich beim „Chair_One“ erfüllt. Seriell produzierte Dinge, die aus einem Guss sind, mag Grcic besonders. Eines seiner jüngsten Projekte, der Kunststoffhocker „Miura“, fällt sogar in einem Stück aus der Presse und muss nicht einmal mehr lackiert werden.
Im Moment arbeitet der Designer, der in England auch zum Tischler ausgebildet wurde, an einem Holzstuhl. „Das hört sich ziemlich unspektakulär an“, sagt er nach einem kurzen Lachen, als ob er selbst erstaunt wäre, sich nach so viel Kunststoff wieder mit Holz zu beschäftigen. Wo obendrein das Einzigartige, Handgemachte offenbar so gar nicht zu seinen Vorlieben zählt. Doch dann fängt er an, begeistert von neuen Technologien im Holzbereich, 3-D-Furnieren und Klebetechniken, Möglichkeiten von Biegeholz und anderen „interessanten Sachen“ zu erzählen. Dazu kommt noch, dass der Auftraggeber einen seriell produzierten Stuhl möchte, der im Verkauf nicht mehr als 100 Euro kosten darf. „Da muss man ganz andere Anforderungen an das Projekt und die Gestaltung haben.“
Gegenstände, die anfangs unverstanden sind, bis der Nutzer sie dann allmählich für sich erschließt, sind Grcic’ Markenzeichen: „Was die Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen so spannend macht, ist, das Alltägliche bei seinen Gewohnheiten zu packen und neu zu betrachten.“ Kühne Dinge mit überraschenden Pointen entstehen mit diesem Vorsatz: Der Sessel „Chaos“ wirkt, als ob er jeden Augenblick das Gleichgewicht verlieren und nach hinten überkippen könnte, und die Werkstattlampe „Mayday“, ein kegelförmiges Objekt aus Polypropylen, hat neben einem extralangen Kabel so viele Haken und Griffe, dass sie überall mitgenommen oder aufgehängt werden kann und, wenn sie runterfällt, einfach weiterleuchtet.
Ganz nah am Leben zu sein ist Grcic mit Sicherheit in vielen Fällen gelungen, auch wenn nicht alle seiner Entwürfe so erschwinglich sind wie der Lamy-Kugelschreiber „Vivo“ oder der Authentics-Mülleimer „Tip“, bei dem man unwillkürlich an die Sesamstraße denken muss. Ob sich Grcic als Kurator seiner eigenen Ausstellung genauso stilsicher unkonventionell behaupten kann wie als Designer, kann man von Donnerstag an im Haus der Kunst sehen.
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