: Die Achse der Konzeptlosen
Die Europäer verkennen, dass sich im Atomkonflikt mit dem Iran die großen Probleme der Region widerspiegeln. Eine Sicherheitskonferenz für den Nahen Osten könnte helfen
Es hat alles nichts geholfen: Der Atomstreit mit dem Iran geht den Weg der Eskalation in den UN-Sicherheitsrat. Auch der letzte Vermittlungsvorschlag der Russen, der die Produktion von hochangereichertem Uran zum Bau von Atomwaffen praktisch ausgeschlossen hätte, lies Washington unbeeindruckt. Es fordert den vollständigen Verzicht auf die Urananreicherung, doch Teheran besteht auf seinem Recht dazu.
Sosehr sich der Streit auch ausschließlich auf diese eine Frage reduzierte – er wird in einer Region ausgetragen, die seit Jahrzehnten als Opfer ihres Ölreichtums von Krieg und Gewalt zerrüttet wird. Nichts davon ist von ihrem kolonialen Hintergrund zu trennen, und eine isolierte Lösung ist bisher immer an ihrer eigenen Begrenzung gescheitert.
Die neue Atomkooperation der USA mit Indien hat dem Streit um das Atomprogramm des Iran nun eine Dimension gegeben, die sich in einem vollkommen neuen Nuklearregime manifestiert, welches mit dem Atomwaffensperrvertrag kaum mehr etwas gemein hat. Dieses alte System wollte die bestehende atomare Asymmetrie durch die Abrüstungspflicht der Atomwaffenstaaten und das Recht auf zivile Nutzung der Nichtatomwaffenstaaten ausgleichen.
Das neue Bush/Cheney-System pervertiert die Idee des Sperrvertrages in ihr Gegenteil und verschärft die Asymmetrie: Der Besitz von Atomwaffen wird durch erweiterte Kooperation und Befreiung von jeglichem Abrüstungsdruck honoriert. Da es sich nicht an den Normen eines Vertrages ausrichtet, ist dieses neue Nuklearregime natürlich flexibel. Einziges Kriterium ist Bushs „Achse des Bösen“.
Was hat die drei EU-Staaten bewogen, sich diesem Konzept so bedingungslos unterzuordnen? Haben sie nicht vorausgesehen, dass ihr Rodeo mit dem Sperrvertrag scheitern musste? Haben sie nicht erkannt, dass die Zerstörung eines Vertrages nicht die überzeugendste Legitimation für die Forderung nach seiner Einhaltung durch den Iran ist?
Die EU-Staaten hatten von den USA ein eigenständiges Verhandlungsmandat erhalten. Das hätte sie durchaus nicht verpflichtet, mit der gleichen „Null Toleranz!“-Forderung bei der Urananreicherung einem Staat zu begegnen, der ersichtlich keine Bananenrepublik ist. Kam ihnen nie der Gedanke, von den USA vielleicht nur dazu benutzt zu werden, als Vorgruppe für deren späteren Auftritt die Stimmung anzuheizen?
Die USA haben nie ein Geheimnis aus ihrer eigentlichen Agenda eines Regimewechsels im Iran gemacht. Dem haben sich die europäischen Staaten zwar nicht öffentlich angeschlossen. Man kann sich nach den Erfahrungen mit der verbalen Vorbereitung des Einmarsches im Irak aber auch nicht darauf herausreden, dass die unablässigen Andeutungen von Bush, Cheney, Rumsfeld und Co über „schwerwiegende Konsequenzen“ und „alle Sanktionsoptionen“ nur leeres Gerede seien, bloß weil die Unterstützung von China und Russland fehlt. Die Radikalität und Ernsthaftigkeit dieser Ankündigungen sollten auch nicht mit Hinweis auf die Verwicklung der US-Truppen im Irak bezweifelt werden. Diese Leute meinen, was sie sagen. Ihr imperiales Auftreten ist nicht nur Gestus, sondern Programm.
Was also hat das EU-Trio zum Schulterschluss bewogen? Immer wieder weist es darauf hin, dass ihr Ziel, einen weiteren Atomwaffenstaat zu verhindern, nur bei Geschlossenheit erreicht werden kann. Begreift man den Streit um die Atomwaffen als Teil der Abwehrschlacht gegen den Terrorismus und dessen Kampf gegen die christlich-westliche Zivilisation (wie die Bush-Administration, aber zunehmend auch europäische konservative Kreise zu glauben gewillt sind), gewinnt das Bekenntnis zur Geschlossenheit und Schicksalsgemeinschaft an Plausibilität. Allerdings nur in den Köpfen derjenigen, die sich angesichts des islamischen Fundamentalismus nun in ihrem eigenen, nicht minder gefährlichen Fundamentalismus zusammenfinden.
Sicher spielte auch der Stress eine Rolle, den das westliche Schisma im Irakkrieg verursacht hat. Er bringt die Protagonisten dazu, sich wieder stärker hinter die USA zu stellen, statt Distanz zu ihnen zu üben. Das Desaster des Irakkrieges hat offensichtlich bei einigen Regierenden in Frankreich und Deutschland die Hoffnung aufleben lassen, das von den USA vorgegebene Ziel statt mit Erpressung und Kriegsdrohungen mit europäischer Diplomatie zu erreichen. Gerade nach der Erfahrung mit dem Irakkrieg hätte man in Paris und Berlin aber wissen müssen, dass die Bush-Regierung ihre ganz eigene Agenda hat.
Die Perspektive ist nicht erfreulich, wenn auch immer noch nicht ausweglos. Man hat Iran im Schwitzkasten des UN-Sicherheitsrats, ohne dass dies für diesen nun ein zwingendes Argument wäre, auf sein im Atomwaffensperrvertrag verbrieftes Recht zu verzichten. Eine solche Eskalation hat gemeinhin nicht die Befriedung eines Konfliktes zur Folge. Gleichgültig, ob die Beteuerungen aus Teheran, kein militärisches Atomprogramm zu verfolgen, der Wahrheit entsprechen: Es könnte sein, dass das Programm unkontrolliert, wie eine Selffulfilling Prophecy, nun in ein militärisches übergeleitet wird. Gründe dafür gäbe es genug.
Wir hätten dann bald einen weiteren Atomwaffenstaat, wenn seine Kapazitäten nicht vorher militärisch vernichtet würden – eine apokalyptische Vorstellung, wenn man sich die Konsequenzen für den Nahen Osten überlegt.
Eine Lösung in Iran à la Indien ist für die USA offensichtlich unvorstellbar, obwohl man auf die Frage „Warum nicht?“ kaum zwingende Antworten bekommen wird. So bleibt allein der klassische Weg zurück an den Verhandlungstisch – allerdings in veränderter Konstellation.
Denn das iranische Atomprogramm ist schon lange kein allein auf den Iran beschränktes Problem mehr. Es spiegelt die großen Konflikte der Region und wird von ihnen genährt. Den Palästinakonflikt gäbe es zwar auch ohne den Irankonflikt. Diesen aber kaum, wenn Israel und Palästina in gesicherter und garantierter Souveränität nebeneinander existieren würden und Israel über sein Atompotenzial mit sich reden lassen würde. Und es sind gerade der Krieg der USA gegen Irans Nachbarland Irak und dessen illegitime Besatzung, die dem iranischen Atomprogramm seine zusätzliche Brisanz verleihen.
Konflikte bekommen mit der Zeit eine Komplexität, die nur noch in einem großen Rahmen bewältigt werden kann. So wie die KSZE ein lang umkämpfter und mühseliger Prozess zu einer überregionalen Sicherheitsordnung für Europa gewesen ist, so sollte man sich auch den Kampf um eine nahöstliche Friedens- und Sicherheitsordnung vorstellen: eine Konferenz von gleichberechtigten Staaten – einberufen vom UN-Sicherheitsrat und unter seinem Schutz, wahrscheinlich in mehreren Etappen –, an der die großen Mächte beteiligt sind. Eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten müsste vordringliches Ziel der Konferenz sein.
NORMAN PAECH