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Archiv-Artikel

Der falsche Flüchtling

Der Ruander Innocent Irankunda wollte nach Deutschland. Er beantragte Asyl, wurde abgeschoben und sitzt jetzt in Kigali im Knast

Deutschland, Ruanda, Asyl

■ Der Fall Innocent Irankunda hat auch für andere Konsequenzen. Die Abschiebung der vier Ruander, die im April 2009 zusammen mit Irankunda nach Deutschland gereist waren, ist ebenso wie die weiterer ruandische Asylbewerber vorerst gestoppt. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden 2009 für das Herkunftsland Ruanda 35 Asylanträge erfasst.

■ Die ruandische Sunday Times berichtete am Sonntag, sieben Ruander seien in der deutschen Botschaft festgenommen worden, weil sie mit gefälschten Dokumenten Visa beantragt hätten.

■ Nicht immer war Deutschland restriktiv. Von 2000 bis Anfang 2010 war der Präsident der ruandischen Hutu-Miliz FDLR, Ignace Murwanashyaka, gegen den jetzt wegen Kriegsverbrechen ermittelt wird, in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannt.

AUS KIGALI SIMONE SCHLINDWEIN

Er stiert auf den Boden und runzelt die Stirn. „Ich bin erledigt“, murmelt Innocent Irankunda in gebrochenem Deutsch. Dann schweigt der 24-jährige Ruander auf seinem Stuhl im Besuchszimmer des Gefängnisses. Irankunda war aus Ruanda geflohen, hatte von einem besseren Leben in Deutschland geträumt. Er wurde aber abgeschoben, in seiner Heimat verurteilt und muss nun vier Jahre im dunklen, übervollen und stinkenden Kerker schmachten. Sein Schicksal hat Menschenrechtler aufgeregt. Aber je tiefer man in Irankundas Geschichte eintaucht, desto undurchsichtiger wird sie – eines von unzähligen schwierigen Kapiteln der Zukunftssuche Ruandas, sechzehn Jahre nach dem Völkermord.

Ruandas Zentralgefängnis mitten in der Hauptstadt Kigali, genannt „1930“ nach dem Jahr seiner Errichtung durch die damalige belgische Kolonialmacht, ist ein Bollwerk aus unverputzten rostroten Ziegelsteinen, mit Türmchen und Schießscharten wie eine Ritterburg. Ursprünglich ausgelegt für 2.000 Insassen, sitzen derzeit 4.530 Menschen ein, darunter ca. 700 Frauen und 100 Kinder. Täglich treffen neue ein: Im Innenhof laden sie Matratzen, Waschwannen und Kleiderbündel von einem Kleintransporter. Richtige Betten gibt es nicht. Die dreistöckigen Eisengerüste sind mit Holzlatten ausgelegt. Geschlafen wird im Schichtbetrieb. Zweimal am Tag gibt es eine Schüssel Reis und Bohnen. Die Hygienebedingungen sind katastrophal: ein Eimer in der Ecke, ein Loch im Boden.

„Flamingos“ werden Ruandas Gefangene genannt, weil sie entweder orange- oder rosafarbene knielange Sträflingsanzüge tragen, die um ihre dürren Hüften schlabbern. Irankunda steckt in rosafarbener Tracht. Orange ist den Tätern des Völkermordes vorbehalten, bei dem 1994 über 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, von Milizen und Armee abgeschlachtet wurden. Zwar sind nicht mehr wie einst 130.000 Gefangene unter dem Vorwurf der Teilnahme am Völkermord inhaftiert, aber es sind immerhin noch rund 60.000, viele davon mit lebenslanger Haftstrafe. Im Zentralgefängnis sitzen 1.165 Völkermörder ihre Strafen ab.

Essen von Bekannten

Mit einigen von ihnen teilt sich Irankunda nun eine dunkle, stickige Großraumzelle im Block „000“. Alles, was von seinem ersehnten Leben in Deutschland übrig ist, trägt der sportliche junge Mann am Leib: eine Armbanduhr am Handgelenk, Turnschuhe mit Socken an den Füßen. Bekannte haben ihm eben Mittagessen vorbeigebracht.

Irankundas Abschiebung aus Deutschland sorgte im vergangenen Jahr für Empörung. Pro Asyl, der Flüchtlingsrat und Amnesty International schlugen Alarm. Den Behörden warf Irankundas Anwältin „Rechtsirrtum“ vor. Ruanda sei ein Unrechtsstaat, die deutsche Justiz „hochgradig politisiert“. Der Landrat Niedersachsens beschloss wegen Irankunda, „per E-Mail eine Nachricht an die Fraktionsvorsitzenden und andere interessierte Mitglieder des Kreistages zu schicken, wenn einem Asylbewerber angekündigt wurde, dass er abgeschoben wird“.

5.900 Dollar für ein Visum

Irankundas Geschichte klingt hart. Der junge Ruander landete am 23. April 2009 am Frankfurter Flughafen mit einem Besuchsvisum für eine Gebrauchtmaschinenmesse in Karlsruhe. Er beantragte Asyl. Der Bundespolizei erklärte er, „dass er in seiner Heimat bedroht sei, dort keine Sicherheit habe und deshalb in Deutschland um Schutz bitte“. Er werde in Ruanda verfolgt, denn er sei Hutu. Seine Mutter sei spurlos verschwunden, sein Vater an den Folgen grausamer Haftbedingungen gestorben. Seine Familie werde beschuldigt, während des Genozids 1994 Tutsi das Grundstück weggenommen zu haben. 2007 sei er deshalb vor eines der traditionellen Dorfgerichte geladen worden, genannt Gacaca – bei diesen Tribunalen treten mutmaßlich am Völkermord Beteiligte vor ihrer Gemeinde auf und können dann zu Gefängnis oder gemeinnütziger Arbeit verurteilt werden. Knapp ein Jahr später habe das Gericht entschieden, auf dem Grundstück Tutsi anzusiedeln, so Irankundas Geschichte weiter. Die Polizei habe ihn gesucht. Aus Angst habe er das Land verlassen. Ein Pfarrer in Kigali habe ihm das Visum besorgt, für 5.900 Dollar.

Von da an nimmt der Fall Irankunda seinen Gang durch die deutschen Behörden. Am 4. Mai 2009 beantragt er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Braunschweig Asyl. Als „offensichtlich unbegründet“ wird sein Antrag am 10. September abgelehnt. LKA-Beamte stürmen nach einer Woche seine kleine Wohnung im Asylbewerberheim in Börßum, Niedersachsen. Sie fahren ihn zum Frankfurter Flughafen. Er ruft „vollkommen aufgelöst aus einem Polizeifahrzeug bei mir an“, berichtet seine Anwältin Florentine Heiber. Doch ihre Eilanträge helfen nicht – dabei appelliert sie dramatisch: „Ich bitte das Gericht darum, das Leben des Antragstellers zu retten.“

Die Beamten setzen Irankunda am Abend des 14. Oktober in ein Flugzeug nach Ruanda. Als er in der ruandischen Hauptstadt Kigali aussteigt, wartet bereits die Polizei auf ihn. Er sei „die ganze Nacht über verhört worden“, berichtet ein Freund, der dies über Verwandte erfahren haben will. Fünf Tage später wird er dem Staatsanwalt vorgeführt. Die Anklage lautet: Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates, Genozid-Ideologie, Missbrauch von offiziellen Dokumenten. Am 27. November wird er lediglich wegen „Urkundenfälschung und des Gebrauchs gefälschter Dokumente schuldig“ gesprochen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwältin gab an, bei ihm seien „ein gefälschtes deutsches Visum gefunden sowie Vorladungsformulare des Gacaca-Gerichts, der Polizei und des Sektors, die er zeigte, um seinen Problemen Nachdruck zu verleihen“. Die Anklage wegen Genozid-Ideologie wurde fallengelassen, denn Dokumentenfälschung sei kein Beweis für das Leugnen des Genozids.

Irankundas Visum sei echt gewesen, bestätigt die deutsche Botschaft in Kigali. Allerdings seien die Dokumente im Anhang nicht einwandfrei. Die ruandische Organisation, in deren Auftrag Irankunda die Karlsruher Messe besuchen sollte und die den Visumantrag in seinem Namen einreichte, ist der Botschaft gut bekannt. „Evangelikale Missionare ohne Grenzen“ heißt sie. Ihre „Trauma- und Stress Rehabilitierungs-Mission“, in der Irankunda beschäftigt sei, ist nichts Ungewöhnliches in einem Land, in dem so viele Überlebende des Völkermordes psychologische Hilfe benötigen. Doch warum schickt diese Organisation fünf Ruander, darunter Irankunda, auf eine Maschinenmesse – junge Menschen, die dann alle Asylanträge stellen?

Missionsleiter Pastor Deus Sangwa hat dafür eine „ganz logische“ Erklärung, sagt er. Der große Mann im feinen Anzug schwärmt im hintersten Winkel eines Gartenrestaurants in Kigali von Deutschland: Bonn, das Rheintal und die Mosel, die Treffen mit Traumaexperten, „so ein wunderbares Land“, preist er. „Dieser Irankunda!“, flucht er dann leise. Pfarrer Sangwa weiß, dass seine Reputation bei der deutschen Botschaft nun dahin ist. Auch er saß drei Nächte in U-Haft, als Irankunda aus Deutschland zurückkam. Irankunda hatte erklärt, Sangwa habe ihm das Visum beschafft – gegen Geld. Das streitet er ab. Er habe Irankunda nach Deutschland geschickt, um Nähmaschinen und gebrauchte Computer zu beschaffen. Geld habe er dafür nicht verlangt.

Ein ruandischer Freund Irankundas in Deutschland lacht über die Geschichte des Pastors: „Dieser Mann hat vielen Leuten geholfen, nach Deutschland zu kommen“, bestätigt er. Droht nun all diesen ruandischen Asylbewerbern die Abschiebung? Das Bundesamt bestätigt: Bis das Verwaltungsgericht Braunschweig nicht endgültig im Fall Irankunda entschieden habe, seien deren Verfahren alle ausgesetzt.

Je tiefer man in Irankundas Geschichte eintaucht, desto undurchsichtiger wird sie

Keine Gacaca-Anklage?

Liegt eine Gacaca-Anklage gegen Irankunda vor? Auf diese Nachfrage reagiert Denis Bikesha, einer der Direktoren der Gacaca-Kommission von Ruanda, stutzig: „Wir verhandeln vor Gacaca keine Landfragen“, sagt er. Das machen nur normale Gerichte. Und: Eine Anklage könne niemals an die Nachfahren des Angeklagten „vererbt“ werden.

In Irankundas Heimatort finden sich keine Spuren einer Gacaca-Anklage gegen Irankunda. Das verschlafene Dorf Nyakarenzo liegt im Südwesten Ruandas hoch oben auf einem Hügel. Windschiefe Lehmhütten kleben an den Hängen zwischen Bananenplantagen und Maniokfeldern. Es ist Sonntag, nach dem Gottesdienst stehen die Leute vor der Kirche und tratschen.

Auf die Frage nach Irankunda und einem Landstreit zwischen Hutu und Tutsi wird aufgeregt diskutiert. Der Dorfvorsteher, Gilbert Lukasamboga, der Irankunda mehrfach vorgeladen haben soll, ist entsetzt: Er kennt weder Irankunda noch dessen Eltern. Landstreitigkeiten zwischen Nachbarn gebe es, das gibt er zu, doch keinen konkreten Fall, in dem einem Hutu Land weggenommen wurde, um darauf Tutsi anzusiedeln. Auch die oberste Gacaca-Richterin des Distrikts, Justina Kabagina, kann sich nicht an den Fall erinnern: „Wir richten doch nicht über Landstreitigkeiten“, erklärt sie. Die Dorfbewohner bestätigen dies, immerhin ist bei Gacaca-Verhandlungen fast das ganze Dorf versammelt. Niemand hat hier je von Irankunda, seinem verstorbenen Vater oder seiner Mutter gehört.

Im Innenhof des Gefängnisses 1930 in Kigali ist es heiß, die Sonne brennt senkrecht herunter. Die Gefangenen sind an der Mauer entlang aufgestellt, die einem schmalen Schatten wirft. Es ist Besuchszeit, Frauen und Mütter überreichen Plastikschüsseln und Teekannen. Schnell werden Neuigkeiten ausgetauscht, Frauen weinen – dann treiben die Wächter die Besucher zurück.

Im Besuchsraum nebenan versinkt Irankunda in seinem Stuhl und bäumt sich wieder auf: „Ich habe hier in Ruanda vor Gericht alles gestanden, ich will nicht noch mit Deutschland Ärger bekommen“, sagt er. Er gibt alles zu: Ja, seine Mutter lebe noch. Ja, er habe die Dokumente gefälscht, um seinem Asylantrag Nachdruck zu verleihen. „Ich bin mit Deutschland am Ende“, sagt er trotzig. „Ich will nicht mit den Deutschen sprechen.“