: Ein Hoch dem Mindestlohn
Internationale Beispiele zeigen, dass sich ein fixer Grundlohn bewährt hat. Nicht alle lassen sich auf Deutschland übertragen
VON BARBARA DRIBBUSCH,HANNES KOCH UNDULRIKE WINKELMANN
Das soziale Experiment in Fastfood-Restaurants brachte ein erstaunliches Ergebnis. Die Burger-Bratereien im US-Staat New Jersey waren gezwungen worden, den niedrigsten Lohn für ihre Beschäftigten von 4,25 auf 5,05 Dollar anzuheben. In der Nachbarschaft dagegen, hinter der Grenze von Pennsylvania, war alles beim Alten geblieben. Der Mindestlohn war so niedrig wie zuvor. Laut herrschender Meinung der Ökonomen wäre nun Folgendes zu erwarten gewesen: Wegen der höheren Kosten hätten die Burger-King- und McDonald’s-Niederlassungen in New Jersey einen Teil ihres Personals entlassen müssen.
Was aber passierte wirklich? Nicht viel. In New Jersey wurden nicht mehr Leute gekündigt als in Pennsylvania. David Card und Alan Krueger, die beiden Wissenschaftler, die den Feldversuch durchgeführt hatten, sind mittlerweile zu Kronzeugen auch der deutschen Arbeitnehmervertreter avanciert. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung stellt morgen eine Studiensammlung vor, mit der die Forderung nach Einführung des Mindestlohns in Deutschland untermauert wird (Schulten/Bispinck/Schäfer [Hrsg.]: „Mindestlöhne in Europa“. VSA-Verlag, Hamburg 2006). Dabei ziehen die Autoren Erfahrungen aus anderen Ländern mit Mindestlöhnen heran.
Das Argument der Autoren lautet: Eine Untergrenze für den Lohn gefährdet keine Arbeitsplätze, sondern führt im Gegenteil dazu, dass die Beschäftigten tendenziell mehr Geld verdienen. Dies wiederum kurbelt den Konsum und damit die Wirtschaft an.
Die Studie kommt zur rechten Zeit. Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich das Wort Mindestlohn in den Mund genommen hat, gewinnt die Debatte auch innerhalb der Bundesregierung an Fahrt – und soll im Herbst in einen konkreten Vorschlag münden.
2,6 Millionen abhängig Beschäftigte ackern derzeit für weniger als 7,50 Euro brutto in der Stunde (siehe Kasten). Diesen Arbeitslohn hat die Gewerkschaft Ver.di als Untergrenze vorgeschlagen. Die interessante Frage dabei lautet: Wie reagieren die Unternehmen, sollte tatsächlich ein gesetzliches Mindestniveau der Bezahlung festgelegt werden? Das wüssten auch die Sozialpolitiker nur allzu gerne.
Doch beim Blick in die Zukunft scheiden sich die Ansichten. So verdienen heute beispielsweise sächsische Friseurinnen am Anfang ihres Berufslebens nur tariflich vereinbarte 3,82 Euro brutto. Für Martin Werding, Ökonom beim Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, ist das Ergebnis relativ klar, wenn 3,82 Euro tatsächlicher Lohn auf 7,50 Euro Mindestlohn treffen. „Wir lehnen das ab, weil viele Arbeitsplätze abgebaut oder ins Ausland verlagert würden“, sagt Werding. Die Betriebe könnten sich schlicht nicht leisten, drei oder vier Euro pro Stunde draufzulegen. Das gelte besonders in Ostdeutschland, wo Firmen problemlos polnische Selbstständige statt deutsche Arbeiter anheuern können.
Unter seinem Chef Werner Sinn vertritt das ifo-Institut die These, dem Niedriglohnwettbewerb aus Osteuropa könnten einheimische Firmen nur standhalten, wenn sie die Löhne senkten. Ein Mindestlohn, der dagegen das gesamte Lohnniveau nach oben zöge, sei ökonomisches Gift und führe nur zu höherer Arbeitslosigkeit.
Die Drohung mit der polnischen Billigkonkurrenz lässt freilich außer Acht, dass es genauso gut positive Effekte geben kann. Seit 1997 in der Bauwirtschaft – als einziger deutscher Branche bislang – der Mindestlohn eingeführt wurde, sind die Bauarbeiterlöhne selbst in den Krisenregionen Ostdeutschlands leicht gestiegen.
Bei der zuständigen Sozialkasse führt man das auch auf den Mindestlohn zurück. Die Leute können deshalb mehr Geld für Konsum ausgeben, was Nachfrage und Wachstum antreibt und für mehr Arbeitsplätze sorgen kann – theoretisch.
Aufgrund von Modellberechnungen geht Ralf Krämer, Ökonom der Gewerkschaft Ver.di, davon aus, dass durch den Mindestlohn in Deutschland rund 70.000 Jobs hinzukommen könnten.
Die meisten der auch vom WSI gesammelten Studien, in denen die Auswirkungen der Mindestlöhne etwa in den USA, Großbritannien oder Irland untersucht werden, kommen zu ähnlichen Schlüssen. Die Arbeitslosigkeit hat in diesen Ländern nicht sichtbar zugenommen.
Doch in Deutschland ist zumindest die Lage in den Ostregionen speziell. Anders als die angelsächsischen Länder liegen die ostdeutschen Regionen an einer der schärfsten Lohn- und Wohlstandsgrenzen der Welt.
Die Konkurrenz um Jobs dort ist enorm. Daher dürfte es eine entscheidende Rolle spielen, auf welcher Höhe der Mindestlohn festgesetzt und ob regional oder nach Branchen differenziert wird.