: Ramadan im Ersten
Eine nette, kleine Produktion mit netten, kleinen Schwächen: die Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“ (18.50 Uhr, ARD) erzählt „Ich heirate eine Familie“ unter Multikulti-Bedingungen
VON CHRISTIAN BUSS
„Türken haben viel Humor“, behauptet Bora Dagtekin. „Das ist beim Karikaturenstreit in letzter Zeit ja leider in Vergessenheit geraten.“ Dagtekin ist erst 27 und betreut schon als Chefautor eines der ambitionierteren Projekte der ARD: die Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“, eine Art Multikulti-Version von „Ich heirate eine Familie“. Türken und Deutsche kriegen hier in öffentlich-rechtlicher Ausgewogenheit ihr Fett weg. Strichlisten werden allerdings nicht darüber geführt, auf wessen Kosten die Witze gehen, schwört Dagtekin.
„Türkisch für Anfänger“ ist ein salopper Mix aus Sitcom, Soap und klassischer Vorabendserie: Eine allein erziehende Deutsche samt ihren zwei Kindern tut sich mit einem allein erziehenden Türken samt dessen zwei Kindern zusammen. Die beiden Alten sind liberal, die vier Teenager sehnen sich indes nach strengen Traditionen. Lena, die pubertierende deutsche Ich-Erzählerin, findet es peinlich, dass ihre freisinnige Mutter fragt, ob sie gerade masturbiere, bevor sie ins Jugendzimmer tritt. Yagmur, ihre türkische Quasistiefschwester mit Kopftuch, hält indes den religiösen Schlendrian ihres Vaters bedenklich. Der weiß ja nicht mal, wann Ramadan ist.
Dagtekin, der zuvor die nicht so gute RTL-Serie „Schulmädchen“ mitentwickelt hat, hält eigentlich nichts davon, wenn das Leben des Autors zu sehr in die Handlung einfließt. Aber was soll er machen, er ist nun mal Halbtürke und wie die Kinder in seiner Serie mit einer deutschen Mutter und einem türkischen Vater aufgewachsen. Nicht die schlechteste Voraussetzung, auf legere Art von den nahe liegenden interkulturellen Missverständnissen innerhalb solcher Konstellationen zu erzählen. „Klar“, sagt Dagtekin, „ich habe wohl schon ein gewisses Gespür, was Türken bewegt – und genug Hintergrundwissen, um niemanden wirklich zu beleidigen.“
Der junge Serienmalocher klingt nicht so, als würde er nachts vor Sorgen kein Auge zukriegen. Dabei muss er durchaus im Hinterkopf haben, welche Pleiten und Erfolge auf dem inzwischen durchaus prestigeträchtigen Sendeplatz zuvor zu sehen waren. Die Pleite war die Historien-Telenovela „Sophie“, deren schwache Quoten die ebenfalls dienstags bis freitags laufende Comedy-Soap „Türkisch für Anfänger“ nun auszubügeln hat. Der Erfolg war das WG-Dramolett „Berlin, Berlin“, das über vier Staffeln ein Publikum diesseits der 40 an den Sender gebunden hat. „Keine Frage, ‚Berlin, Berlin‘ hat den Weg bereitet für eine junge und lustige Serie in der ARD“, gesteht Dagtekin. „So gesehen ist das natürlich auch für uns eine Marke, an der wir uns zu orientieren haben.“
Sicherheitshalber hat man denn auch gleich ein paar der „Berlin, Berlin“-Regisseure verpflichtet, die für einen halbwegs modernen Look sorgen. Doch Hauptdarstellerin Josefine Preuß, die als Ich-Erzählerin Lena recht patent durchs deutsch-türkische Tohuwabohu inmitten Berlins führt, sollte trotzdem in Zukunft aufs ewige Augenrollen und Schnuteziehen verzichten. Was bei Felicitas Woll in „Berlin, Berlin“ ein hübsches Markenzeichen war, wirkt hier affig.
Auch braucht die Serie ein paar Folgen, um den richtigen Takt zu finden. Am Anfang türmen sich die Zoten zum Thema Religion. Dass Lena zum Beispiel im atheistisch-islamischen Durcheinander der Patchwork-Sippe für drei Minuten trotzig zum Judentum konvertiert, ist einfach zu viel. An anderen Stellen werden schwer wiegende Konflikte einfach von der mächtigen Erzählerhand weggewischt. So was funktioniert auch auf Sitcom-Ebene nicht. Was thematisch aufgemacht wird, muss auch zu Ende geführt werden.
Dagtekin hat kein Problem damit, Startschwierigkeiten einzugestehen: „Das Schwierigste ist immer die Pilotfolge“, sagt er, „da kann am meisten falsch laufen, weil da alles reinmuss. Eine Serie entwickelt sich – und ob sie wirklich großartig ist, kann man erst nach mehreren Episoden sagen, wenn Charaktere zum Leben erwachen.“
Bleibt zu hoffen, dass man bei der ARD ein bisschen geduldiger ist als bei Sat.1. Dort kippte man die Sitcom „Der König von Kreuzberg“ ja vor knapp einem Jahr ratzfatz wegen schwacher Quoten – obwohl sie mithilfe der abgeflachten sendertypischen Comedy-Standards in den deutsch-türkischen Nachbarschaftskosmos einführte.
Trotz dieser Pleite setzt man hierzulande doch wieder verstärkt auf junges deutsch-türkisches Komödienpersonal: Im April startet RTL seine schon vor zwei Jahren als „Halbmond über Neukirchen“ angekündigte Comedy-Serie „Alle lieben Jimmy“, in der es um einen jungen türkischen Autoschrauber geht. Und ProSieben schickt mit „Meine verrückte türkische Hochzeit“ am 30. März eine romantische Komödie ins Rennen, in der ein Kreuzberger Plattenhändler die streng islamische Familie seiner Braut für sich gewinnen muss. „Mein Schwiegerpapa, Allah und ich“ sollte der Film anfänglich heißen, dieser Titel war ProSieben allerdings wegen des Karikaturenstreits zu riskant.
So leger-unverbindlich die neuen TV-Produktionen daherkommen, haben sie doch einen schwierigen Auftrag: Lange Zeit war im Fernsehen kein Platz für deutsch-türkischen Alltag. So gesehen entscheidet nun eben auch Bora Dagtekins „Türkisch für Anfänger“, diese nette, kleine Produktion mit ihren netten, kleinen Schwächen, über die gewichtige Frage: Wie viel deutsch-türkische Normalität darf sein im hiesigen Serienalltag?