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Archiv-Artikel

„Es bleibt ja nicht beim Gärtnern“

LEHREN ODER PFLANZEN Die Irakerin Najeha Abid hat 1996 in Göttingen den ersten Interkulturellen Garten mitgegründet. Das Projekt ist inzwischen ein bundesweites und trägt erheblich zu Emanzipation und Bildung von Migrantinnen und deren Kindern bei

Najeha Abid

■ 59, hat in Bagdad Arabisch und Farsi studiert und war dort Gymnasiallehrerin. 1982 floh sie und kam 1990 nach Göttingen. Dort hat sie 1996 den ersten Interkulturellen Garten mitgegründet. Als Mitarbeiterin der Stiftung „Interkultur“ hat sie seit 2008 den Arbeitsschwerpunkt „Gesundheit und Ernährung in Interkulturellen Gärten“. 2005 bekam sie in Paris den Umweltpreis „Trophée Terre de Femmes – Frauen für die Natur“.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Abid, waren die Interkulturellen Gärten Ihre Idee?

Najeha Abid: Nicht meine allein. Die Idee kam von Migranten, die als Kriegsflüchtlinge aus verschiedenen Ländern nach Göttingen kamen. Wir trafen uns regelmäßig in der Göttinger „Frauenteestube“, die vom Flüchtlings-Beratungszentrum betreut wurde. Irgendwann fragten sie uns, was wir vermissen. Wir haben gesagt: die Gärten, die wir in unserer Heimat hatten. Die Sozialarbeiterin hat dann lange gesucht und nach drei Jahren eine Baulücke in der Göttinger Südstadt für uns gepachtet.

Wer war 1996 am ersten Interkulturellen Garten in Göttingen beteiligt?

Wir waren – neben zwei deutschen Familien – zehn Migrantenfamilien aus Irak, Iran, Afghanistan, Äthiopien und Bosnien. Die fachliche Betreuung hat der äthiopische Agrarwissenschaftler Tassew Shimeles übernommen. Das Göttinger Grundstück, das wir nutzen konnten, war insgesamt 1.500 Quadratmeter groß, und je zwei Familien haben sich eine Parzelle geteilt.

Mit wem haben Sie sie geteilt?

Mit einer Iranerin. Dabei herrschte damals, in den 1980er-Jahren, Krieg zwischen Iran und Irak. Wir haben aber sehr harmonisch zusammengearbeitet. Politik spielte überhaupt keine Rolle für uns.

Waren Bosnier und Serben genauso entspannt?

Nein. Diese beiden Gruppen wollten sich nicht im Garten treffen. Wir haben eine Weile verhandelt, aber am Ende haben die Serben nicht bei uns mitgemacht. Die beiden bosnischen Familien blieben.

Wussten Sie alle, wie man gärtnert?

Nein. Einige hatten langjährige Erfahrung, andere gar keine – wie ich. Aber wir haben uns gefühlt wie eine Familie, in der jeder jedem hilft. Ich zum Beispiel musste meine Parzellennachbarn ständig fragen: Wie pflanze ich eine Tomate ein, wie säe ich? Und anfangs habe ich stundenlang gegossen, weil ich dachte, viel Wasser bringt viel Ertrag! Die Bosnier gossen einmal pro Woche. Am Ende hatten wir kaum Ernte, und die Parzelle der Bosnier blühte ohne Ende!

Was haben Sie gepflanzt? Gab es kulturelle Unterschiede?

Ja, große. Die Migranten haben anfangs nur Gemüse gepflanzt. Und wir haben es trotz des Klimas geschafft, viele orientalische Sorten zu ziehen. Aber die deutschen Frauen hatten erst nur Blumen. Ich verstand das damals nicht: Warum machten sie sich die Mühe, wenn dann nur Blumen herauskamen? Was bedeuteten schon Blumen?

Und heute?

… gibt es in meiner Parzelle viele Blumen, und die Deutschen bauen auch Gemüse an. Und ich muss sagen, nach siebzehn Jahren in den Interkulturellen Gärten habe ich unendlich viel über Kräuter, Pflanzen gelernt. Inzwischen stelle ich Kräutertees, Salben und Öle selbst her und absolviere seit März eine Phytotherapie-Ausbildung an einer Heilpflanzschule. Das macht mir großen Spaß!

Aus welchen sozialen Schichten stammen die Menschen in Ihrem Interkulturellen Garten?

Aus allen, aber das spielt keine Rolle. Wir haben einander nie gefragt: Was hast du studiert? Solche Dinge sind hier bedeutungslos, Hierarchie hat bei uns keinen Platz. Wichtig ist, was ein Mensch mitbringt, wie er mit Leuten aus unterschiedlichen Kulturen umgeht und welchen Beitrag er hier leisten kann. Ich zum Beispiel bin Akademikerin, verstehe vom Gärtnern aber gar nichts. Die alte Frau aus dem Irak mit langjähriger Garten-Erfahrung ist Analphabetin. Also haben wir einander ergänzt. Sie zeigt mir, wie man sät. Und ich habe vier Jahre lang Alphabetisierungskurse für Frauen auch außerhalb unseres Vereins angeboten.

Trotzdem klingt es, als seien die Migrantinnen weitgehend unter sich geblieben.

Aber nein! Wir haben damals sehr bald unser erstes Sommerfest gefeiert, und da sind die Menschen aus der Nachbarschaft regelrecht geströmt. Schnell gab es Anfragen für weitere Gärten, sodass wir zeitweilig fünf davon in Göttingen und Umgebung hatten. Inzwischen sind 40 Prozent unserer Vereinsmitglieder Deutsche. Das freut uns, denn unser Ziel war immer, Kontakt zur hiesigen Gesellschaft zu bekommen.

Auch der Einsamkeit zu entrinnen?

Ja, sicher! Ich zum Beispiel habe in der ersten Zeit nicht gewagt, allein rauszugehen. Ich wusste nicht wohin. Anderen ging es genauso. Da war der Garten der ideale Ort, um andere Menschen zu treffen. Und zu erfahren, dass alle dieselben Probleme haben. Und um in Zeiten der Arbeitslosigkeit eine Aufgabe zu haben.

Welchen Beruf haben Sie im Irak ausgeübt?

Ich war Arabisch-Lehrerin des mit 7.000 Schülerinnen größten Gymnasiums von Bagdad, das ich auch geleitet habe.

Sprachen liegen Ihnen.

Ja. Da meine Papiere hier aber nicht anerkannt wurden, habe ich Kindern fünf Jahre lang ehrenamtlich Arabisch beigebracht. Das waren nicht nur Kinder arabischer Migranten, sondern auch Türken und Deutsche aus binationalen Ehen. Inzwischen haben mir die Interkulturellen Gärten auch beruflich neue Wege geebnet: Heute habe ich glücklicherweise eine Stelle bei der Stiftungsgemeinschaft, die unsere Gärten betreut.

Sie sind 1982 aus dem Irak geflohen. Sind Sie je wieder hingereist?

Ja, viele Jahre später. Und ich habe auf der ganzen Strecke – von der Grenze im Norden in Kurdistan bis Bagdad – nur geweint. Tiere, Pflanzen, Boden: Alles war verbrannt. Der Irak wird noch lange brauchen, um sich von der Gewalt zu befreien, mit der eine ganze Generation aufgewachsen ist.

Wo wohnen Ihre Verwandten jetzt?

Unsere große Familie, die einst unter einem Dach wohnte, ist inzwischen auf mehrere europäische Länder verteilt. Das macht mich sehr traurig.

Angesichts der „verbrannten Erde“ im Irak wirkt es wie ein Heilungsversuch, dass Sie jetzt ausgerechnet Gärten anlegen.

Ja, klar! Abgesehen davon hat sich meine Sicht auf die deutsche Gesellschaft inzwischen verändert. Anfangs dachte ich, die Deutschen hätten keine Sorgen, sondern nur wir. Ich habe mich sehr auf mein, auf unser Migrantendasein konzentriert. Mit der Zeit hat sich das relativiert.

Inwiefern?

Im Jahr 2000 habe ich auf der Expo in Hannover über die Situation von Flüchtlingsfrauen in Deutschland berichtet. Während ich sprach, sah ich, dass eine Frau im Publikum weinte. Ich dachte, es sei wegen meiner Geschichte. Am Ende stand sie auf. Sie kam aus Tibet und sagte: Ich habe dasselbe erlebt wie Sie, aber in einer anderen Ecke der Welt. Als ich das hörte, dachte ich: Es ist höchste Zeit, dass wir uns integrieren.

Interkulturelle Gärten

Der bundesweit erste Interkulturelle Garten wurde 1996 in Göttingen gegründet.

Deutschlandweit gibt es inzwischen über 80 Interkulturelle Gärten.

Betreut und koordiniert werden sie von der Stiftung „Interkultur“ in München, einer Gründung der Stiftungsgemeinschaft Anstiftung & Ertomis.

Finanziert werden die Gärten teils aus Stiftungsgeldern, teils aus Spenden und Beiträgen lokaler Vereine wie zum Beispiel Internationale Gärten e. V. Göttingen, der seit 1998 besteht.

Nämlich wie?

Ich fand, wir müssten uns über dieses Land, das unser Leben gerettet hat, informieren. Wir müssten unseren Beitrag leisten. Zum Beispiel durch unsere Gärten, mit denen wir die Natur dieser brach liegenden Grundstücke bewahren.

Die Gärten werden vor allem von Frauen betrieben. Lernen sie dort auch Emanzipation?

Letztlich schon, denn es bleibt ja nicht beim Gärtnern. Viele Frauen, die meine Alphabetisierungskurse besucht haben, haben inzwischen den Hauptschulabschluss. Für mich ist das eine große Ehre, wenn eine Frau mit fünf Kindern, die nie zur Schule ging, jetzt Schreiben und Lesen lernt und am Ende eine Krankenpflegerin-Ausbildung macht. Und die Kinder, die während unserer Gartenzeit geboren sind, haben inzwischen fast alle Abitur und Studium.

Werden die Migrantinnen von ihren Männern unterstützt?

Das ist unterschiedlich. Manche Männer sind sehr offen und demokratisch. Andere leiden unter ihrer Arbeitslosigkeit. Denn man muss bedenken: Wenn ein Mann, der immer alleiniger Ernährer war, zu Hause sitzt und sieht, dass die Frau verdient und sich abmüht: Dann denkt er, es sei seine Schuld, weil eigentlich er diese Arbeit tun müsste.

Was sagen Sie Frauen, die deswegen Probleme bekommen?

Ich habe immer gesagt: Wir sind hier in der Fremde. Wenn jemand eine Chance auf Arbeit bekommt – egal welche und egal, ob Mann oder Frau –, müssen wir das nutzen! Und der andere soll sich mit freuen.

Unterstützt Ihr Mann Sie?

Gottseidank ist er offen und hat mich immer unterstützt: Ich bin seit 17 Jahren in diesem Verein, und er fährt mich überall hin. Er hat immer, wenn es nötig war, unsere Tochter betreut und mich nie gefragt: Mit wem fährst du? Warum kommst du spät?

Wie finden die Ehemänner der anderen Migrantinnen das?

Einige empfanden es als Beleidigung, es ist für sie nicht akzeptabel. Vielleicht haben sie Angst, dass ihre Frauen Ähnliches fordern. Es gibt aber auch viele Männer, die die Kinder betreuen und den Haushalt führen, wenn die Frauen unterwegs sind. Hochachtung vor solchen Männern! Aber grundsätzlich sage ich immer, es ist eure Entscheidung. Wir im Verein dürfen nicht versuchen, die Art, wie andere Menschen leben, zu beeinflussen.