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Archiv-Artikel

SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Schlafender Mensch gegen Smartphone

Wenn man sein Laptop zuklappt, schläft es. Nicht tief, es befindet sich im Stand-by, bereit, sogleich wieder anzuspringen. Dieser Schlaf ist technisch überkommen. Eine Power-Nap-Funktion lässt den Computer auch im Stand-by nonstop Daten synchronisieren. Und: Ab sofort gibt es ein Smartphone, das gar nicht mehr schläft. Auf Zuruf führt es Befehle aus, ohne extra aktiviert zu werden.

Anders der schlecht konstruierte Mensch: Während sich die Märkte stündlich wandeln, schläft er in der Nacht. Erfolglos wird seit Jahrzehnten geforscht, wie er trotz Schlafentzug effizient bleiben könnte. Im Alltag hat sich der Power Nap durchgesetzt: ein Superkurzschlaf, der die Arbeitskraft erhält und garantiert, dass man kreativ bleibt. Der lange, tiefe Schlaf indes ist ein ständiger Affront. Wer schläft, kann nicht konsumieren, keine Werte schaffen, fällt zurück.

„24/7-Märkte und eine globale Infrastruktur der ununterbrochenen Arbeit und des Konsums existieren schon seit Langem“, sagt Jonathan Crary. Jetzt entwickele sich aber ein Subjekt, das sich mit dieser Infrastruktur decke, so Crary. In „24/7. Late Capitalism and the Ends of Sleep“ (Verso, London 2013) analysiert der Soziologe die Folgen der Kommodifizierung des Schlafs. Sechseinhalb Stunden schläft ein Nordamerikaner derzeit pro Nacht. Eine Generation zuvor waren es noch acht, im frühen 20. Jahrhundert zehn Stunden. Der restaurative Schlaf gilt als Fluchtort, raus aus der 24/7-Spirale. Aber er schrumpft.

Dem Kapitalismus schließlich ist die Müdigkeit der größte Graus. Und mit ihr die Depression, die Modekrankheit dieses Zeitalters, oder das Burn-out, die es dem Menschen unmöglich machen, sich aufzurütteln, vom permanenten Dämmer- übergangslos in den Wachzustand zu gleiten. Wie schön: Man kann also den langen Schlaf pflegen, der damit zugleich letztes Refugium des Widerstands gegen die kapitalistische Allmacht ist.

Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin der Kulturredaktion