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Archiv-Artikel

Migrantenandrang auf die Kanarischen Inseln

Immer mehr Flüchtlingsboote aus Mauretanien landen auf den Kanaren. Roter Halbmond: 1.300 Tote seit November

MADRID taz ■ Auf den Kanarischen Inseln sind die Menschen an Flüchtlingsboote aus Afrika gewöhnt. Doch so viele wie am Dienstag waren es noch nie. In nur 24 Stunden kamen neun Boote mit insgesamt 332 Schwarzafrikanern an den Stränden von Teneriffa und Gran Canaria an. Hinter den Flüchtlingen liegt die 1.000 Kilometer lange Reise von Mauretanien über den Atlantik.

Alleine in den letzten zwei Wochen haben rund 2.000 Schwarzafrikaner diese Überfahrt gewagt. Seit Jahresbeginn sind insgesamt 3.000 Flüchtlinge auf den Kanaren angekommen – im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr waren es 850. Die Route über den Atlantik wird immer stärker frequentiert, seit die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla nach den Flüchtlingsstürmen im Herbst besser bewacht werden denn je.

Bis zu 1.000 Euro zahlen die Auswanderer für ihre gefährliche Reise in offenen Booten mit Außenbordern, die bis zu 70 Menschen fassen. Nach Angaben spanischer Geheimdienste und Hilfswerke sollen 45 Schlepperbanden in Südmarokko, der besetzten Westsahara und in Mauretanien tätig sein. In Mauretanien sollen rund 500.000 illegale Einwanderer leben – die meisten aus Senegal –, die auf eine Überfahrt auf die Kanaren hoffen. Die mauretanische Regierung hat begonnen, illegale Senegalesen aus den Grenzstädten abzuschieben, aber dies könnte Spannungen zwischen der Regierung und der schwarzafrikanischen Minderheit im Süden Mauretaniens schüren.

Die Reise ist oft lebensgefährlich. Auf 1.300 schätzt der Rote Halbmond in Mauretanien die Zahl derer, die seit November vergangenen Jahres die gefährliche Reise in die Fremde mit dem Leben bezahlt haben. Erst vor einer Woche sank ein Boot mit mindestens 45 Afrikanern an Bord. Gestern barg die spanische Marine 640 Kilometer südlich der Kanaren erneut 17 Leichen.

Die größte Erfolgschance haben die Boote, die sich von spanischen Fischern von Mauretanien bis kurz vor die Hoheitsgewässer der Kanaren schleppen lassen und nur die letzten 100 Kilometer mit eigener Kraft fahren. Doch der Preis für eine solche Überfahrt „de luxe“ ist teurer.

Die Auffanglager der Kanaren sind überfüllt, die Flüchtlinge werden aufs Festland ausgeflogen. Dort leben sie dann in den großen Städten, ohne Unterkunft und Einkommen. „Die Lage ist ernst, aber nicht alarmierend“, erklärte der spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos nach der Ankunft der neun Boote auf den Kanaren.

Heute sollen vier spanische Staatssekretäre in die mauretanische Hauptstadt Nouakchott fliegen, um dort ein gemeinsames Vorgehen abzusprechen. Dass die Flüchtlinge den Weg nun über Mauretanien suchen, sei der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Marokko zuzuschreiben, lobte Moratinos die eigene Politik. Was Mauretanien angeht, sagte er: „Ich bin überzeugt, dass wir in kürzester Zeit zu einer befriedigenden Lösung finden werden.“ REINER WANDLER