Die neue Weltmacht heißt Gazprom

Wladimir Putin will Russland zur „treibenden Kraft des ökonomischen Fortschritts“ weltweit machen. Dafür hat er Gazprom unter seine Kontrolle gebracht

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Wenn es um Energie geht, dann hört der Spaß auf. Diese Erkenntnis macht sich gerade in Russland breit, das jahrzehntelang als Energielieferant Europas einen tadellosen Ruf genoss. Dies hat sich geändert, seit der Kreml zur Jahreswende dem Nachbarn Ukraine die Gasleitung kappte. Da dabei auch in die Transitleitungen nach Europa weniger Gas gelangte, geschah etwas, womit Moskau nicht gerechnet hatte: Die Europäische Union nahm den Vorfall zum Anlass, über die Gefahren einseitiger Abhängigkeiten von russischem Gas öffentlich zu debattieren. Heute trifft EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Moskau mit Kremlchef Wladimir Putin zusammen. Energiesicherheit wird dabei das zentrale Thema sein.

Schon im Vorfeld hatte Barroso durchblicken lassen, dass die Kooperation mit Russland im Energiebereich „optimiert“ werden müsste. Dies geht auch aus dem letzte Woche veröffentlichten Grünbuch der Kommission hervor, das dem Streit zwischen Moskau und Kiew eine Bedeutung beimisst, die dem Kreml nicht gefallen dürfte. Erstmals werden die Beziehungen der EU und Russlands als „keine echte Partnerschaft“ eingestuft. Zwar wird sich die Energiezusammenarbeit zwischen der EU und Russland mangels anderer Lieferanten zunächst nicht ändern, doch die Tonlage hat sich deutlich verschoben.

Mit 13 Prozent der Öl- und 34 Prozent der weltweit nachgewiesenen Erdgasreserven sitzt Russland auf den größten Vorräten fossiler Brennstoffe. Derzeit importiert die EU 50 Prozent ihres Energiebedarfs. Werden keine alternativen Energieträger gefunden, wächst die Abhängigkeit in den nächsten Jahren auf 70 Prozent. Damit spekuliert Russland und glaubt gegen jegliche Kritik immun zu sein.

„Die Abhängigkeit der EU wird weitersteigen“, sagte der Vizechef des staatlichen Energiegiganten Gazprom, Alexander Medwedjew, diese Woche auf einer Energiekonferenz in Moskau. Es gebe eben nur vier Gasförderländer auf der Welt: Katar, Algerien, Iran und Russland. Wer von diesen sei wohl der Zuverlässigste, fragte Medwedjew. Rein rhetorisch war dies gemeint.

Die Zweifel von Energiefachleuten aus Europa und den USA an der Verlässlichkeit von Gazprom zerstreute er nicht. Ihre Kritik an der Gas- und Pipelinepolitik gegenüber den ehemaligen Satelliten, Moldawien und Georgien, denen Gazprom wie zuvor auch der Ukraine die Gaspistole auf die Brust setzte, bezeichnete der enge Vertraute Putins als „gänzlich ungerechtfertigt“. Offensichtlich war er verärgert.

Das neue Saudi-Arabien

Gazprom deckt ein Viertel des Gasverbrauchs der EU und verfügt über Ölvorräte, die etwas geringer ausfallen als die Saudi-Arabiens und Irans. Gazprom ist mehr als ein Energieriese und ein Staat im Staate. Seit Putin die Macht im Kreml übernahm, wird der Konzern zur neuen Superwaffe aufgerüstet. Zunächst träumte der Kreml von Russland als dem „Saudi-Arabien des 21. Jahrhunderts“. Inzwischen hat man sich noch höhere Ziele gesteckt. Im eigentlich geheim tagenden russischen Sicherheitsrat stellte Putin Ende 2005 die neue Perspektive vor: Man sei ein „Weltführer in der Energie“, „die treibenden Kraft des weltwirtschaftlichen Fortschritts“ und somit ein Garant internationaler Stabilität. Die Rolle als Supermacht scheint wieder in greifbare Nähe gerückt.

So hat Putin den Gassektor zielstrebig dem Kreml einverleibt. Mit dem Erwerb der Firma Sibneft letztes Jahr soll nun auch beim Erdöl ein Monopol errichtet werden. Der Kreml-Chef favorisiert eine zentral gelenkte Wirtschaft und einen Kapitalismus der Staatsapparate. Putins Kontrolle über Gazprom sei effektiv, sagt Wladimir Milow vom Moskauer Institut für Energiepolitik. „Er fällt alle strategischen Entscheidungen selbst und zeigt für einen Politiker dieses Ranges erstaunliche Kenntnis von kleinsten Details der Operationen.“

Die dem Unternehmen zugedachte Rolle als geopolitischer Eisbrecher entbindet indes von profitablem Wirtschaften und rechtfertigt auch die Intransparenz des Konzerns. Laut Minderheitsaktionären versickern jährlich Milliarden im Nichts. Dass der Brennstoffriese nicht den Gesetzen der Marktwirtschaft unterliegt, zeigt sich auch in einer zurückhaltenden Investitionspolitik. Alte Förderstätten versiegen, neue werden nur langsam erschlossen. Auch die Ölförderung stieg nur um zwei Prozent, seit der Staat wieder dirigiert.

Europäische Befürchtungen, Russland könne steigende Nachfragen nicht bedienen, sind daher nicht aus der Luft gegriffen. Aus Moskauer Sicht drängt die Zeit nicht. Solange sich die Preise auf hohem Niveau bewegen und China und Indien als mit der EU konkurrierende Abnehmer auf den Markt drängen, muss Moskau sich nicht sputen. Die Liberalisierung und Öffnung des Energiewesens auch für ausländische Investoren, wie es die EU fordert, wird in Russland ein langwieriges Unternehmen. Wenn es überhaupt so weit kommt.

Als Austragungsort des diesjährigen G-8-Gipfels im Juli hat Russland die Energiesicherheit zum zentralen Thema erkoren. In der russischen Konzeption fällt dem Staat als regulierender Kraft die Schlüsselrolle zu, Risiken der Energieunsicherheit zu minimieren. Das mag in vielen demokratischen Gemeinwesen auch zutreffen, in Russland ist bisher eher das Gegenteil der Fall.