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Archiv-Artikel

Das letzte Hurra von Fergusons Küken

FUSSBALL Vor dem heutigen Champions-League-Viertelfinale baut Manchester United auf seine alte Garde, denn die Überlebenden des denkwürdigen Finales von 1999 sind als Leitfiguren immer noch unverzichtbar

LONDON taz | Als Verteidiger, sagt Gary Neville, spricht er am liebsten über Spieler, die Spiele gewinnen können. Die Rede kommt so unweigerlich auf Wayne Rooney, den in dieser Saison schon 33 Mal erfolgreichen Stürmer. „Waynes Einsatz ist unglaublich“, sagt Neville, „er ist ein Straßenkämpfer, ein Straßenkicker, der in jeder Sekunde hundertprozentig bei der Sache ist. Das macht ihn zu einem großen Fußballspieler, der einfach tun kann, was er will.“ Da der Kapitän von Manchester United aber einer der wenigen britischen Profis ist, die gerne über die Torauslinie hinaus denken, hat er vor dem heutigen Champions-League-Viertelfinale bei Bayern München (20.45 Uhr, Sat.1) bemerkt, dass hinter dem wichtigsten Mann des Teams vielleicht noch ein wichtigerer steht. „Wayne hat mit 24 schon so viel erreicht. Aber ich denke, er muss sich jeden Tag Ryan Giggs anschauen. Der Mann hat sich seit seinem Debüt mit 17 jeden Tag verbessert, heute ist er 36. Er ist das Vorbild in der Umkleide“.

Neville, 35, hätte im Grunde auch Paul Scholes, 36, nennen können. Oder sich selbst. Die drei Veteranen waren schon 1999, im denkwürdigen CL-Finale gegen die Bayern dabei, das sie in der Nachspielzeit mit 2:1 gewannen. Sie sind „survivors“, Überlebende, wie es im martialischen Fußballenglisch heißt. Schon als Schulkinder kamen sie in den Verein, mit Anfang 20 dominierten sie bereits die englische Liga. „Fergies Fledglings“, Fergusons Küken, nannte man damals die Jungs, zu denen auch Nicky Butt, David Beckham und Nevilles Bruder Phil gehörten. Die Alliteration spielte auf die Busby-Babes an, die legendäre United-Mannschaft von Trainer Matt Busby, die 1958 bei einem Flugzeugabsturz verunglückte.

Neville, Scholes und Giggs hat kein früher Tod zu Legenden gemacht, sondern ewige, unablässige Arbeit. Die beiden Letzteren setzt Sir Alex nur noch sporadisch ein, doch sie sind so flexibel und gut, dass der Schotte ihnen kürzlich neue Verträge für die nächste Saison in Aussicht gestellt hat. Rechtsverteidiger Neville, der nach einer langen Verletzungspause vor zwei Jahren schon aufhören wollte, hat sich sogar mittlerweile wieder in die Stammelf gekämpft. „Gary Neville wird nie der beste Fußballer sein, aber wirft Hartnäckigkeit und Hingabe in die Wagschale“, sagte Ferguson nach dem Einzug ins CL-Viertelfinale, „jeder im Team kann sich ein Beispiel an ihm nehmen.“

Der schnell aufbrausende Neville ist ein wichtiges Korrektiv, das schlechte Gewissen des Teams. Der kleine Mann gilt als Fergusons „spiritueller Vollstrecker“, wie der Observer einst schrieb: Er kommandiert die talentierteren, jüngeren Mitspieler und stellt an sie denselben absoluten Anspruch wie sein Vorgesetzter: „Der Trainer akzeptiert nichts außer kontinuierlich guten Leistungen.“

Die in die Jahre gekommen Küken sind Stars nach Fergusons Geschmack. Ernsthaft und demütig widmen sie sich dem Fußball und stellen dabei die Mannschaft über sich selbst. Sir Alex kann sie nach Bedarf ein- und auswechseln, auf die Tribüne setzen oder – wie Giggs nach dem übel vercoachten 0:2 im letztjährigen CL-Endspiel gegen Barcelona in Rom – persönlich für Niederlagen verantwortlich machen. Es passiert: nichts. United spielt auch nach drei Meisterschaften in Folge mit einem Heißhunger nach Erfolgen, der im europäischen Spitzenfußball seinesgleichen sucht.

Falls Neville die Saison so gewissenhaft geradlinig zu Ende spielt, wird wohl auch er einen neuen Vertrag bekommen und danach wie Giggs und Scholes seine Karriere bei dem einzigen Profiklub beenden, für den er je gespielt hat. Bis es so weit ist, darf er weiter einer der wichtigen hinter dem wichtigsten Spieler sein. RAPHAEL HONIGSTEIN