: Melodien für Millionen
LIEDGUT Erfolg ist nicht planbar – oder was hatte „Macarena“, was „Danzare“ nicht hat? Wer einige Regeln beachtet, hat aber gute Chancen in den Charts. Ein Ausflug in die Welt der Sommerhits – vorübergehend erfolgreich verdrängte Ohrwürmer inklusive
VON THOMAS WINKLER
Dieses Mal wollten die Musikmanager nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen. Sie hatten einen gut aussehenden Sänger rekrutiert und ihm ein hübsches Liedchen mit einem italienischen, aber trotzdem unverzüglich mitsingbaren Refrain auf den Leib schreiben lassen. Dass Vito Lavita vor 22 Jahren im tiefen Süden Italiens geboren wurde, bevor er im Alter von zwei Jahren nach Deutschland kam, sorgte für zusätzliches sommerliches Eisdielenflair.
Zum programmierten Sommerhit des Jahres 2013 fehlte nun nur noch ein möglichst schnell und unfallfrei erlernbarer Tanz. Da kam Markus Schöffl ins Spiel: Der Limburger Tanzlehrer und Trendscout des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes (ADTV) entwickelte im Auftrag der Plattenfirma eine Choreografie, die von nabelfreien Tänzerinnen in einem bunten Filmchen vorgeführt wird, während Lavita singt.
Um auch wirklich überhaupt nichts dem Zufall zu überlassen, wurde zudem ein Video mit einer Tanzanleitung produziert und im Netz verbreitet, während die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung für eine als Berichterstattung getarnte Werbekampagne gewonnen werden konnte. „Bild.de kennt den Sommerhit des Jahres“, titelte die Website des Blattes und erklärte den „ausgebildeten Kfz-Mechatroniker“ Lavita schon mal vorsorglich zum „Newcomer des Jahres“.
Teurer Flop
Doch der Versuch der deutschen Dependance des Entertainmentkonzerns Warner Music, einen veritablen Sommerhit bis ins kleinste Detail durchzuplanen und einen Star zu kreieren, fiel – wie der Beginn des Sommers selbst – ins Wasser. Vito Lavita und sein „Danzare“ konnten sich zwar in den deutschen Single-Charts platzieren, aber verhungerten auf einem – angesichts der massiven Medienpräsenz – erschütternden 94. Platz.
Das ist eine beruhigende Nachricht: Ein Hit ist allen Versuchen zum Trotz eben doch nicht wirklich programmierbar. Was man aber sagen kann: Es gibt gewisse identifizierbare Eigenschaften, die ein Song besitzen sollte, um das Zeug zum Sommerhit zu haben.
Je früher, desto Hit
Am einfachsten zu gewährleisten ist: TIMING. Wenn ein Sommerhit erst im Herbst erscheint, ist es schwierig für ihn, noch ein Sommerhit zu werden. Deshalb: Frühsommer, am besten Frühling. Wenn diese Jahreszeit allerdings ausfällt, wird es kompliziert. Vielleicht liegt es daran, dass sich in diesem Jahr noch kein eindeutiger Sommerhit durchgesetzt hat. „Gangnam Style“ jedenfalls wurde erst im Juli 2012 veröffentlicht und erst im Herbst, als es zum meistgeklickten YouTube-Video aller Zeiten wurde, endgültig ein internationales Phänomen.
Nicht zu unterschätzen ist auch der INHALT des Songs. Der Refrain sollte zwar denkbar leicht mitsingbar sein und darf gern irgendwas mit Sommer und Liebe zu tun haben, besser aber ist es, wenn der Text einfach vollkommen belanglos ist oder – noch besser – seine Bedeutung einfach im Dunkeln bleibt. Oder wissen Sie etwa, was genau uns Lou Bega 1999 mit seinem „Mambo No. 5“ mitteilen wollte oder auch nur annähernd, was es 2005 genau mit Juanes „La camisa negra“ auf sich hatte?
Auch „Vamos a la playa“ ist mitnichten das harmlose Lass-uns-zum-Strand-gehen-Liedchen, für das der Sommerhit des Jahres 1983 allgemein gehalten wird. Stattdessen beschreibt das italienische Duo Righeira in seinem spanischen Text die Explosion einer Atombombe, die dafür sorgt, dass das Meer endlich wieder sauber ist. Die Mutter aller Sommerhits ist eigentlich ein sarkastischer Öko-Appell.
So unverfänglich oder verschwommen die Aussage eines Sommerhits aber sein sollte, er muss dringend einen gewissen Grad an EXOTIK transportieren. Fast alle großen Sommerhits sind deshalb in Sprachen verfasst, die ein Großteil der deutschen Bevölkerung nicht versteht, aber vielleicht schon mal im Urlaub gehört hat. Das galt 1997 für „Samba de Janeiro“ von Bellini, dessen überschaubarer Text irgendwie Portugiesisch klingt, und erst recht für „Dragostea din tei“ von O-Zone, das 2004 Europa dazu brachte, Rumänisch zu radebrechen.
Dem Sommerhitpotenzial ebenfalls zuträglich ist: ein TANZ, so unkompliziert, dass er bald zwischen Flensburg und Garmisch gelehrt werden kann. Dabei müssen die Tanzschüler aussehen, als hätten sie gerade einen Eimer Sangria intus und ihnen wäre auch ansonsten alles egal. Deshalb sind „The Ketchup Song“ von Las Ketchup aus dem Jahr 2002 und natürlich vor allem Los del Rios „Macarena“ von 1996, den sogar die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright im Plenum der Vereinten Nationen vorführte, perfekte Sommerhittänze. Der „Lambada“ dagegen, der zu Kaomas Sommerhit aus dem Jahr 1989 gehörte, ist erstens ein richtiger Tanz mit Tradition und zweitens eigentlich viel zu anspruchsvoll.
Nur für Eingeweihte
Aber natürlich gibt es auch Sommerhits ohne Tanz und Exotik, das richtige Timing oder eine seltsame Sprache. Es gibt Sommerhits, die sind Sommerhits nur in einer gewissen Subkultur wie „Children“ von Robert Miles, der 1996 in keinem Technoclub und auf keiner Strandparty auf Ibiza fehlen durfte, aber als reines Instrumentalstück keine Chance in den gewöhnlichen Popcharts hatte.
Es gibt auch Sommerhits, von denen die Kritiker nur gern wollen, dass sie ein Sommerhit werden, weil sie meinen, die Welt braucht einen besseren Geschmack, Songs wie das 2011 erschienene „Lose It“ von Austra, das dann aber – trotz aller Eingängigkeit – schlussendlich doch zu komplex konstruiert war.
Es gibt sogar Sommerhits wie den des Jahres 2001, die sogar noch besser im Winter funktionieren. Was im Fall von „Hey Baby (uhh, ahh)“ auch bloß daran liegen mag, dass DJ Ötzi nun mal Österreicher ist und eher in Skihütten als in Strandbars zu Hause. Dass allerdings ausgerechnet Vito Lavita und sein „Danzare“ doch noch zu einem dieser – womöglich ja verspäteten – Sommerhits werden, das ist wohl kaum zu erwarten.