Operation geheime Kellerasseln

SNOWDEN Auf der Suche nach gestohlenen Daten ist dem Geheimdienst jede Methode recht: Beim „Guardian“ ließen sie Festplatten mit Geheimdokumenten vernichten

■ Die Organisation Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) haben den Druck des britischen Geheimdienstes auf die Zeitung The Guardian als schockierenden Eingriff in die Pressefreiheit bezeichnet. Dass ein Geheimdienst den Chefredakteur der renommiertesten Zeitung des Landes zwinge, zugespieltes Material zu vernichten, sei erschütternd, erklärte Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen am Dienstag in Berlin. Es sei aber unverständlich, warum der Guardian-Chefredakteur der Erpressung nachgegeben habe, ohne die Gerichte anzurufen und sofort an die Öffentlichkeit zu gehen. Der DJV-Vorsitzende Michael Konken sagte, die Behörden wollten offenbar Ausspähungen mit Methoden verhindern, wie man sie bisher nur aus Spionagethrillern kenne. (dpa, taz)

VON RALF SOTSCHECK

DUBLIN taz | Geheimdienste arbeiten gern im Dunkeln. In diesem Fall handelte es sich um einen Keller in der britischen Hauptstadt London. Dort, so berichtet es die Tageszeitung The Guardian, zwangen namentlich nicht bekannte Personen die Zeitung zur Zerstörung von Festplatten, die Dokumente des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden enthielten. Diese unglaubliche Wendung im NSA-Datenskandal enthüllte Chefredakteur Alan Rusbridger in der Dienstagausgabe seiner Zeitung.

Demnach sei das liberale Blatt bereits vor zwei Monaten von einem hochrangigen Regierungsbeamten aufgefordert worden, das Material herauszurücken oder zu zerstören. Daraufhin trafen sich die beiden zweimal. Der Ton der Gespräche sei zwar nicht unfreundlich gewesen, schreibt Rusbridger, aber es gab die unterschwellige Drohung, dass andere Regierungsmitglieder eine weit drakonischere Vorgehensweise befürworteten. Der Beamte behauptete laut Rusbridger, im Auftrag des Premierministers David Cameron zu handeln.

Vor einem Monat sei der Ton dann rauer geworden. Jemand an „zentraler Stelle der Regierung“ habe ihm am Telefon erklärt: „Ihr hattet euren Spaß. Jetzt wollen wir das Zeug zurück.“ Auf Rusbridgers Einwand, der Guardian könne dann nicht weiter an dem Thema arbeiten, habe der Regierungsmitarbeiter verblüfft geantwortet: „Ihr hatte doch eure Debatte. Es gibt keinen Grund, noch mehr zu schreiben.“ Er fügte hinzu, dass die Regierung mit juristischen Mitteln gegen die Zeitung vorgehen werde, falls sie nicht kooperiere.

In dem Fall wäre das Gericht in den Besitz des Snowden-Materials gelangt“, sagt Rusbridger. Auch der Hinweis, dass Kopien des Materials existierten, dass der Guardian über die Snowden-Dokumente ohnehin vor allem aus New York berichte und dass der zuständige Reporter Glenn Greenwald in Brasilien lebe, beeindruckten den Regierungsmitarbeiter nicht.

„So kam es zu einem der bizarrsten Ereignisse in der langen Geschichte des Guardian“, schreibt Rusbridger. Zwei Sicherheitsexperten des Geheimdienstes überwachten die Zerstörung der Festplatten im Keller des Zeitungsgebäudes, um „sicherzustellen, dass in den zermalmten Metallstücken nichts mehr übrig war, das für einen zufällig vorbeikommenden chinesischen Agenten von Interesse sein könnte“. Es sei ein symbolischer Akt gewesen, der im digitalen Zeitalter völlig sinnlos sei. „Wir werden weiterhin sorgfältig und geduldig über die Snowden-Dokumente berichten, aber nicht mehr von London aus“, schreibt Rusbridger.

Rusbridgers Bericht lässt einige Fragen offen. So geht weder daraus hervor, wann die Zerstörung der Festplatten stattgefunden hat, noch erklärt er, warum der Guardian das nicht sofort mit einem Aufmacher publik gemacht hat. Stattdessen beschrieb Rusbridger die Ereignisse relativ versteckt am Ende eines Kommentars zum Verhör von David Miranda, dem Partner Glenn Greenwalds, der am Sonntag bei einer Zwischenlandung auf dem Londoner Flughafen Heathrow neun Stunden lang festgehalten worden war.

Und Rusbridger nennt auch nicht die Namen der „hochrangigen Regierungsbeamten“, die ihn mehr oder weniger unverhohlen erpresst haben. „Warum haben Sie zugestimmt“, fragt ein Leser im Kommentar unter dem Artikel, „die Namen geheim zu halten? Normalerweise tun Journalisten das im Gegenzug für Informationen, aber das trifft in diesem Fall offensichtlich nicht zu. Wurde der Guardian eingeschüchtert oder erpresst?“ Rusbridgers antwortet eher lahm, dass es keine juristischen Erwägungen waren: „Jeder Journalist stimmt manchmal zu, bestimmte Dinge/Gespräche/Namen nicht zu erwähnen.“

Sein Fazit: „Wir sind zwar noch nicht an dem Punkt angekommen, aber es dauert vielleicht nicht mehr lange, bis es für Journalisten unmöglich sein wird, auf vertrauliche Quellen zurückzugreifen. Die meiste journalistische Arbeit – und das meiste Leben überhaupt im Jahr 2013 – hinterlässt zu viele digitale Fingerabdrücke. Die Kollegen, die Snowden schlechtmachen oder empfehlen, dass Reporter dem Staat vertrauen sollten, könnten eines Tages ein böses Erwachen haben. Eines Tages wird ihre Berichterstattung attackiert werden.“