Manche Vorurteile mitbegraben

Sterbensfröhlich: Wo sonst als im deutschen Beerdigungswesen würde man die ungebrochene Herrschaft konservativer Tristesse erwarten? Um das Begräbnis und seine Umstände zu entkrampfen, gründete sich in Hamburg das „Trostwerk“: junge linke Bestatter, die an den Tabus der Branche rühren

Wer konventionellen Vorstellungen anhängt, den dürfte schon die Offerte an die Hinterbliebenen überraschen, jeden weiteren Schritt mitzugestalten

Von JAN FREITAG

Vielleicht entscheidet bereits ein Blick durchs Schaufenster über konstruktive Verarbeitung oder schamhaftes Verdrängen. Vielleicht reicht der erste Schritt hinein in ein Bestattungsunternehmen, um dem Verlust eines Menschen aufrecht oder geduckt zu bewältigen.

Im Hamburger „Trostwerk“ folgt ihm ein lichtdurchfluteter, moderner, großzügiger Raum in warmen Farben. Bei „Albert Karl & Sohn“ trifft den Kunden dagegen die volle Breitseite traditioneller Bestattungsbräuche: gedecktes Ambiente schwerer Eichenmöbel und zugezogener Jalousien unter Kronleuchtern. So sah institutionelle Trauerarbeit lange aus – schwarz und still und konservativ.

Wer einen traditionellen Hamburger Familienbetrieb wie diesen betritt, erwartet laut Christian Hillermann weder bemalte Särge noch Luftballons am Grab, sondern „christliche Liturgien“ durch „Sachwalter des Tabus“. Unkreativ, entmündigend, exekutiv und elitär nennt der Branchenneuling die deutsche Beerdigungskultur. Das zeitgemäße Mobiliar schwedischer Herkunft, in dem er seine Attacke gegen die Konkurrenz fährt, zeugt von jenem Weg, den er seit zweieinhalb Jahren geht.

Trostwerk heißt sein Bestattungsinstitut und bereits das Bürokratische der letzten drei Silben hat den gelernten Pädagogen einst über den Seiteneingang in die Trauerbegleitung gedrängt. Institut, Institution, Verwaltung – wenig lebendige Beschreibungen für das krisensichere Geschäft mit der Nachbereitung des Todes. Der heute 35-Jährige hatte nach einer unangenehmen Beerdigungserfahrung im Freundeskreis genug vom engen Korsett des Bestattungswesens und lüftet es seither gehörig durch. Gern mal im Anzug, oft aber auch, so wie an diesem Tag, in heller Freizeitkleidung.

An seinem Eckladen im Hamburger Schanzenviertel steht „andere bestattungen“, und das sorgt für Verwirrung – auch bei den gut 120 Instituten im Großraum Hamburg, die Hillermann zufolge skeptisch bis genervt auf den Mitbewerber reagiert hätten. Mehr aber noch bei potenziellen Kunden, die im Gespräch manch Vorurteil zu begraben hatten.

Wer konventionellen Vorstellungen von der Dienstleistung am Verstorbenen folgt, den dürfte schon die Offerte an die Hinterbliebenen überraschen, jeden weiteren Schritt aktiv mitzugestalten. Bestatten in Deutschland, das heißt normalerweise: raus aus dem Blickfeld. „Meine schönste Begleitung“, erinnert sich dagegen die Trostwerk-Mitarbeiterin Evelyn Schmidt, „war bei einer Frau, deren Mutter wir eine Stunde gemeinsam gewaschen haben.“ Ein würdiger Abschluss, denn die Mittvierzigerin hatte die bettlägerige Frau bis zum Schluss daheim gepflegt. Körperreinigung, Eincremen und Anziehen waren ohnehin Alltag. Die einzige Regel, sagt die Soziologin mit zwölfjähriger Begräbniserfahrung, „ist, auf individuelle Wünsche einzugehen“.

Ob man – wie von Trostwerk organisiert – den Sarg im Familienkreis mit Fotos beklebt und von Kindern bunt bemalen lässt oder einen Motorradkonvoi mit Sarg über den Kiez veranstaltet, das hängt vom letzten Willen der Toten ab, letztlich aber von Geschmack und Gefühlslage der Trauernden. Der Hygieneaspekt, sagt Christian Hillermann, „wird völlig überbewertet“. Viel mehr Pflichten als die, Verblichene nach spätestens 36 Stunden in eine öffentliche Leichenhalle und zwölfeinhalb Tage später unter die Erde zu bringen, gibt es nicht. Zwar hat Hamburg als beengter Stadtstaat bundesweit die strengsten Gesetze, die etwa den Instituten eigene Verstorbenenräume untersagen. Doch die Kruste bröckelt, was etwa die muslimische Tradition der Bestattung ohne Sarg angeht. Oder auch den Friedhofszwang für Urnen.

Doch ist das Bestattungswesen weiter ein Kind bürgerlich-christlicher Pietät, urbanen Effizienzdenkens, nationalsozialistischen Ordnungswahns und kultureller Tabuisierung. Auch wenn die Bestatterverbände beteuern, wie flexibel – von der Musik über die Rede bis zum Blumenschmuck – mittlerweile beigesetzt werde: Noch immer geben die Hinterbliebenen mit dem Gang zum Bestatter alle Zügel aus den eigenen Händen – in viele andere. Requisiten, Abtransport, Leichenbehandlung und Zeremonie werden in der Regel getrennt besorgt. Bei Hillermann und seinen fünf Mitarbeitern dagegen ist von der Auftragsannahme bis zum letzten Gruß ein Zweierteam durchgängig verantwortlich.

Trotzdem gibt es bundesweit kaum Nachahmer. Auf acht beziffert Christian Hillermann die Zahl ähnlicher Firmen – darunter solche von und für Frauen oder buddhistisch orientierte. Größer ist der Einfluss des Platzhirsches auf die Arrivierten. „Das Trostwerk ist eine schöne Sache“, meint mit Dieter Hinz ein Veteran. Seit 40 Jahren ist er – mit Unterbrechungen – Bestatter und durchaus dankbar für den frischen Wind aus der Nachbarschaft. Dass bei ihm alles schlechter sei, lässt er jedoch nicht auf sich sitzen. Auch in seiner Filiale vom Großhamburger Bestattungsinstitut GBI sei nichts unmöglich. „Mein Job besteht vor allem aus Zuhören“, beteuert der 67-Jährige in seinem schlichten Kleinbüro mit kupfernen Urnen an der Wand. Er belegt diese Haltung mit einer Mappe Trauermusiken. „Jeder entscheidet selbst, ob er Freddy Quinn oder Frank Zappa will.“

Dass der Mann mit dem hanseatischen Äußeren dennoch eher der alten Schule angehört, belegt seine Lieblingszeremonie, bei der er den Sarg einer Gemüsehändlerin im Erntedankstil dekorieren ließ. Nicht gerade verrückt, aber immerhin. Persönlich bevorzuge er klassische Beerdigungen, aber dass die überwiegend kirchlichen Friedhöfe in Hamburg nun professionelle Trauerredner und CDs akzeptieren, sei doch ein Fortschritt.

Hinz‘ Ordner mit Gebinden zeugt zwar von einiger Farbenpracht, nicht aber von jener Vielfalt, wie sie das Trostwerk anbietet. Dort steht, zwischen bunten Miniatursargdeckeln an der Wand und Trauerliteratur vom Comic bis zum Bildband im Regal, ein psychedelisch bemalter Sarg in den Geschäftsräumen. Weichen muss er nur, wenn wie jeden Monat eine Lesung etwa zur Trauerarbeit für Kinder oder ein Liederabend moderner Grablyrik stattfindet.

Den Königsweg des Trauerns aber glaubt auch Christian Hillermann mit seinem eher linken Bestattungsansatz, wie er ihn sieht, nicht gefunden zu haben. GBI, Albert Karl & Sohn, der Verband deutscher Bestattungsunternehmen, die Restbranche läge mit ihrer Arbeit ja keineswegs falsch; sie vermittelten allerdings atmosphärisch kaum Alternativen zur Norm und pflegten das bevormundende Expertentum.

„Die meisten Kunden wollen gar nichts mit den ganzen Abläufen zu tun haben“, hält dem Volker Haar vom Bestatterverband Niedersachsen stellvertretend für 400 Institute entgegen. Bestatten sei nun mal eine Dienstleistung, mehr nicht. Vielleicht liege das am Unterschied zwischen Stadt und Land, „aber bei uns wollen zum Beispiel 90 Prozent der Angehörigen einen Pastor als Redner“, sagt Haar.

Es ist wie die Frage nach der Reihenfolge von Henne und Ei. „Das Angebot bestimmt die Nachfrage“ lautet Christian Hillermanns betriebswirtschaftliche Antwort, „man muss die Angehörigen für das Mögliche öffnen“ lautet seine psychologische. Am Ende entscheiden die Lebenden, wie sie die Toten unter die Erde bringen. Und da macht der Ton die Musik – wer die Räumlichkeiten von GBI oder Albert Karl & Sohn betritt, wird für die Trauerfeier sicher kein AC/DC wünschen. Und wem der Sinn nach kirchlichen Orgelsonaten steht, der sucht danach kaum im Trostwerk. Dafür reicht schon ein Blick durchs Schaufenster.