Angst gegen Angst

In Deutschland wird der Kündigungsschutz gelockert, weil die Arbeitgeber Gerichtsverfahren fürchten. Dass dadurch auch Jobs entstehen, glaubt niemand. Größere Unsicherheit wird junge Leute von der Familiengründung abhalten

VON ULRIKE WINKELMANN

Was an Frankreichs Regierungssitz derzeit die Kronleuchter wackeln lässt, wurde in Deutschland letzten November ganz trocken in den Koalitionsvertrag geschrieben: die Aufhebung des Kündigungsschutzes in den ersten zwei Jahren – für alle, nicht etwa bloß für junge Leute.

Plan der großen Koalition ist, die bisher sechsmonatige Probezeit auf 24 Monate zu verlängern. In dieser Zeit kann der Arbeitgeber ohne Begründung kündigen. Im Gegenzug wird die „sachgrundlose“ Befristung von Verträgen in diesen 24 Monaten abgeschafft. Zeitverträge dürfen sich dann nur noch aus der Natur des Jobs selbst ergeben.

Es hat nicht nur mit dem Wahlkampf in drei Bundesländern zu tun, dass wichtige und wichtigste Unions-Politiker jetzt erklären, das müsse noch einmal diskutiert werden. In den Worten des Unions-Fraktionschefs Volker Kauder: „Regierungsarbeit kann nicht nur darin bestehen, den Koalitionsvertrag umzusetzen.“ Es sind die Arbeitgeberverbände, die den Erhalt der Befristung verlangen – als Option. „Am besten wäre, wenn man wählen könnte“, formuliert der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Oliver Heikaus.

Nach den Landtagswahlen wird das Probezeitgesetz schnell kommen, und bis dahin werden DIHK und Co nicht lockerlassen. Offen ist, wie standhaft die SPD bleibt. Bislang scheint sich Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) durchzusetzen. Er sagte: „Es gilt, was im Koalitionsvertrag steht. Nicht mehr – es muss auch nicht weniger sein.“

Der DIHK bemängelt vor allem zweierlei: Da der Kündigungsschutz erst bei Betrieben mit mehr als 10 Mitarbeitern gilt, ergebe sich für alle kleineren Firmen mit dem Wegfall der sachgrundlosen Befristung eine Verschlechterung. Außerdem entfällt in der künftig verlängerten Probezeit zwar der allgemeine Kündigungsschutz. Aber der besondere Schutz etwa für Schwangere und Schwerbehinderte bleibt – den konnte man bislang nur mit Fristverträgen umgehen.

Dass durch Lockerung des Kündigungsschutzes neue Jobs entstünden oder mehr Leute eingestellt würden, erklären nicht einmal die Arbeitgebervertreter. Es gibt bislang schlicht keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und Beschäftigtenzahlen. Arbeitsmarktforscher belegen lediglich, dass sich die Struktur der Arbeitslosigkeit ändert, wenn sich der Austausch zwischen dem „Drinnen“ und „Draußen“ des Arbeitsmarkts verstärkt. Dass dadurch Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose einmal eine Chance bekommen könnten, ist das stärkste Argument auch der französischen Regierung.

Doch warnen andere Wissenschaftler davor, ungewisse Chancen für wenige gegen erhöhte Unsicherheit für alle zu tauschen. Erst kürzlich erklärte eine Familienkommission der Robert-Bosch-Stiftung um den gewiss nicht als Arbeitnehmerfreund bekannten Wirtschaftsforscher Hans Werner Sinn: Ein Abbau des Kündigungsschutzes schrecke junge Leute von der Familiengründung ab.

Grundsätzlich, erklärt Armin Höland, Zivilrechtler an der Universität Halle, gebe es beim Thema Kündigungsschutz „ein besonderes Auseinanderfallen von Wahrnehmung und Wirklichkeit“. Auch die von der großen Koalition angestrebten Veränderungen gingen dabei auf Behauptungen der Arbeitgeber zurück, „die auf einer methodisch unzulässigen Hochrechnung von Einzelfällen beruhen“.

Arbeitgeber gäben zwar den Kündigungsschutz und die dazu gehörende Furcht vor langwierigen Gerichtsverfahren als Einstellungshindernis an – doch liefere die Empirie dafür keine Bestätigung. Höland legt in wenigen Wochen eine Studie zum Kündigungsschutz im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vor. Demnach klagt etwa nur jeder sechste bis siebte der derzeit rund 2 Millionen pro Jahr vom Arbeitgeber Entlassenen. Von den 330.000 Arbeitsgerichtsklagen im Jahr 2003 seien nur 11 Prozent mit einem „streitigen Urteil“ beendet worden, also ohne Einvernehmen. Nur die Hälfte aller Klagen ende mit Abfindungen. Die These „Entlassungen sind teuer“ sei unhaltbar, sagt Höland.

Der DIHK-Experte Heikaus weiß um die Bedeutung der Psychologie beim Kündigungsschutz, hält aber dagegen: „Die Angst vor Prozessen ist da – gerade wenn ein Betrieb keine eigene Rechtsabteilung hat.“

Auf diese Weise wird auch die kommende Änderung des Kündigungsschutzes keinen Frieden stiften. Die Arbeitgeber bleiben unzufrieden – und die Arbeitnehmer bekommen eineinhalb Jahre länger Ungewissheit.