Beim Handy-Kauf klingelt‘s

AUS DORTMUND MORITZ SCHRÖDER

Müde stehen die SchülerInnen der Klasse 8c in der Fußgängerzone Katharinenstraße in Dortmund. Während einer der Jugendlichen gerade die Reste seines McChicken herunterschluckt, stößt Rainald Ötsch zu der Gruppe. Er schiebt einen Einkaufswagen vor sich her, in dem Karten, Plastikdosen und Stoff liegen. Als er sich unter die Jugendlichen mischt, schaut er etwas hilflos in die Runde. Der junge Mann mit den langen, dunkelblonden Haaren scheint hier fehl am Platz zu sein. Seine schwarze Jeans und der schwarze Kapuzenpullover zeugen nicht gerade von Markenbewusstsein – ganz im Gegensatz zu den 18 SchülerInnen, die ausnahmslos Adidas-Schuhe und Eastpak-Rucksäcke tragen. Rainald Ötsch gehört zur globalisierungskritischen Gruppe Attac, die in Dortmund alternative Stadtrundgänge anbietet.

„Heute will ich euch erklären, was passiert, wenn ihr im Laden eine Jeans oder ein Handy kauft“, sagt der Stadtführer. Die Klasse, angeführt von Ötsch mit seinem Einkaufswagen, macht ihren ersten Halt bei Vodafone. „Wer ein Handy hat, stellt sich auf die linke Seite des Ladens“, fordert Ötsch „seine“ Schüler auf. Er bleibt allein auf der anderen Seite stehen.

Geld für Waffenkäufe

Dann kramt er ein klobiges Mobiltelefon aus dem Einkaufswagen und reicht es der Gruppe. Nachdem zwei Schülerinnen das Modell einer Inspektion unterzogen haben, wird klar, dass es nicht benutzt werden kann. Dort, wo sonst der Akku steckt, finden sie goldene Patronenhülsen. Verwirrt blicken sie ihren Stadtführer an. Der erklärt, dass eine wichtige Mineralie für die Produktion der Mobiltelefone, das Coltan, aus dem Kongo stammt. Und dort würden die Abbauregionen zum Teil von Milizen kontrolliert, die sich im Bürgerkrieg befinden. „Und was kaufen die mit dem Geld?“ fragt er. Mit einem Blick auf die Patronen ist die Frage auch für die Jugendlichen der Klasse 8c rhetorisch: Waffen. „Ich sollte mir also überlegen, ob ich unbedingt immer das neueste Handy brauche“, sagt Ötsch.

Vor einem Tchibo-Geschäft kommt der Einkaufswagen erneut zum Stehen. Rainald Ötsch fischt einen weißen Overall heraus. Den soll jemand anziehen. Ein großer Junge mit Käppi wird von einigen Mitschülern nach vorne gedrängt. „Tschuldigung, ich hab Größe 45“, sagt er und reiht sich mit einem Lachen wieder ein. Schließlich traut sich nur Lehrerin Grit Eschrich. Außer dem weißen Anzug muss sie eine große Schutzbrille aus Kunststoff, einen weißen Mundschutz und Arbeitshandschuhe anziehen. Ihr ganzer Körper ist nun mit Schutzkleidung bedeckt.

„Die kenne ich nicht“, ruft ein Junge aus der Klasse und lacht, während ein blondes Mädchen mit ihrer Handy-Kamera ihre Lehrerin fotografiert. Schließlich reicht Ötsch der verhüllten Lehrerin einen Plastikkanister, der zur Hälfte mit einer giftgrünen Flüssigkeit gefüllt ist. Als Grit Eschrich die Bedienungsanleitung lesen soll, muss sie passen. Auch der Stadtführer kommt nicht über den ersten Satz hinaus: „Registrado no Ministério da Agricultura, Pecuária e Abastecimento/MAPA sob n° 00598997.“ Unter einem Logo der deutschen Firma Bayer werden zahlreiche chemische Verbindungen aufgezählt. Mit einem Blick auf die Flüssigkeit im Behälter sagt Ötsch: „Den Kaffeebauern in Mittelamerika geht es so wie uns jetzt – weil viele von ihnen nicht lesen können.“ Viele Arbeiter würden durch solche Pestizide sterben, weil die Plantagenbesitzer keine Schutzanzüge stellen wollten.

Unwillkürlich ziehen drei Schüler ihre schwarzen Piratentücher vor das Gesicht. Unter den Blicken Wurst kauender PassantInnen auf der anderen Straßenseite und verwundert dreinblickender Kaffeeverkäuferinnen mit blauem Tchibo-Hemd im Laden zeigt Ötsch ein Transfair-Logo. „Fair gehandelter Kaffee ist eine Alternative. Hier gibt es den leider nicht zu kaufen.“

Fair gehandelte Kleidung

Nächste Station: Karstadt. Auf dem Pflaster vor einem blank polierten Schaufenster sollen die SchülerInnen ein Puzzle zusammenlegen, das einen Turnschuh darstellt. Die unterschiedlich großen Teile symbolisieren das Geld, das für das Kaufhaus, die Marke, die Werbung, Materialien und Transport bei dem Kauf bezahlt wird. „Fertig“, ruft ein Junge, als der Schuh komplett zu erkennen ist. Doch bei genauem Hinschauen fehlt ein winziges quadratisches Stück in der Mitte. Das symbolisiert den Lohn für die Näherinnen des Schuhs, erklärt der Stadtführer. „Scheiße, das sind nur 10 Cent oder so“, sagt ein Junge mit schwarzer Bomberjacke. Einem Mädchen mit Kopfhörern im Ohr ist das zu einfach. „Die sollen doch froh sein, dass wir die Schuhe kaufen“, meint sie. Ob sie denn auch bereit wäre, mehr für ein Paar zu bezahlen, fragt Ötsch. Nur 36 Cent würden ausreichen, um den Näherinnen ein Grundeinkommen zu sichern. Zwar gebe es Geschäfte, die solche fair gehandelte Kleidung anbieten. Als er an sich herunterschaut und seinen schwarzen Pullover und seine braunen Lederschuhe betrachtet, wendet er aber ein: „Das Problem ist, solche Alternativen gibt es kaum.“

Letzte Station: Der Eine-Welt-Laden. „Hier läuft das alles etwas anders ab“, erklärt Rainald Ötsch. Es riecht nach Holz und frisch gekochtem Kaffee. Interessiert lassen die Jugendlichen ihre Blicke über rote Traumfänger und hölzerne Flöten in den Regalen streifen. Aus einer roten Verpackung mit Transfair-Siegel reicht der Stadtführer Schokoladenstücke. Dann ist die Stunde aus. Die SchülerInnen verlassen den Laden – in Richtung Einkaufszone.