: „Niemand kann Assad aufhalten“
SYRIEN Oppositionelle berichten über weitere Luftangriffe auf Vororte von Damaskus
BERLIN taz | Einen Tag nachdem Truppen des Assad-Regimes am Rand von Damaskus Chemiewaffen eingesetzt haben sollen, meldeten syrische Oppositionelle am Donnerstag schon neue Luftangriffe aus den betroffenen Vierteln.
Berichten zufolge bombardierte die Armee mehrere Ziele in den Vororten mit Kampfflugzeugen. „Sie geben den Menschen keinen Augenblick, sich zu erholen“, sagt eine Aktivistin in einem Nachbarviertel, die sich Susan Ahmed nennt.
Wenn es stimmt, was die Oppositionellen sagen, ist die Ghouta, die Gegend im Osten der Stadt, zum Ziel des schwersten Chemiewaffenangriffs seit Jahrzehnten geworden. Videos im Internet zeigen lange Reihen von Toten und Sterbende, deren Symptome auf Folgen von Giftgas hindeuten. Trotzdem lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie sie gestorben sind. Die Zahl der Toten ist selbst innerhalb der Opposition umstritten. Die Angaben liegen zwischen mehreren hundert und 1.400.
Susan Ahmed führt die Abweichungen auf das Chaos zurück: Manche Leichen wurden doppelt gezählt, andere sind noch nicht erfasst. Und nach wie vor melden die Helfer neue Todesopfer, die bislang in ihren Häusern unentdeckt waren.
Fünf bis acht provisorische Kliniken gibt es in der Ghouta, schätzt sie. „Die Situation ist verzweifelt. Es fehlt an Personal, die Ärzte sind völlig erschöpft.“ Es gibt nicht viel, was sie tun können. Die Ghouta steht zwar unter Kontrolle der Rebellen. Aber die Armee riegelt die Gegend seit Monaten ab. Atropin hilft gegen Symptome von Gasvergiftungen, aber die Vorräte reichen nicht aus. Die Regime-Einheiten lassen nicht zu, dass Medikamente in die belagerten Viertel gebracht werden, sagen die Aktivisten. „Zum Teil haben sie die Verletzten nur mit Wasser und Essig abgewaschen“, sagt Ahmed.
Zu den Symptomen zählen Zuckungen, Halluzinationen, Atemnot, Muskelkrämpfe, Schaum vor dem Mund. „Gestern war ein grauenvoller Tag“, sagt Tareq, ein Aktivist, der sich in einem Lazarett in der östlichen Ghouta aufhält, etwa zehn Kilometer entfernt von den betroffenen Vierteln. Etwa 60 Verletzte wurden dorthin gebracht. „Die Kliniken vor Ort waren überfüllt. Die Verletzten lagen neben den Toten. Im Moment sind die Helfer dabei, die Leichen zu identifizieren.“
Hinzu kommt, dass einige Ohnmächtige versehentlich für tot erklärt wurden. Mehrfach entdeckten die Helfer, dass sich Körper in den Leichentüchern plötzlich wieder zu regen begannen, sagt Susan Ahmed: „Die Freiwilligen tun ihr Bestes, aber sie sind heillos überfordert.“
Inzwischen sind die direkt betroffenen Straßenzüge weitgehend verlassen. „Die Leute haben Angst, so große Angst, dass sich solche Angriffe noch einmal wiederholen“, sagt Tareq. „Sie versuchen zu fliehen.“ Nur kommen die meisten nicht weit. Die Soldaten an den Checkpoints lassen niemanden passieren.
Auffällig ist auch der Zeitpunkt der Angriffe. Nur zwei Tage zuvor ist ein Team von UN-Beobachtern in Syrien eingetroffen, um dem möglichen Einsatz von Chemiewaffen nachzugehen. Die Oppositionellen aber überrascht das nicht. „Die UN-Ermittler sind nur wenige Kilometer weit weg. Mit diesen Angriffen hat Assad ihnen gezeigt, dass sie machtlos sind“, sagt die Aktivistin Susan Ahmed. „Er lässt seine Muskeln spielen, und niemand kann ihn aufhalten.“ GABRIELA M. KELLER
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