Stattlicher Lohn für das Ehrenamt

Senat und Wirtschaft wollen das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen stärker würdigen. Sie plädieren für eine allgemeine Zertifizierung von im Ehrenamt erworbenen Kompetenzen. Die Jugendverbände sind jedoch skeptisch

Das Beispiel von Moritz Leistner ist klassisch: Obwohl der frisch diplomierte Soziologe jahrelang als Jugendbetreuer bei einer Kirchengemeinde, anschließend bei amnesty international und zwischendurch auch mal beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ehrenamtlich tätig war, kann er all diese Arbeit in der Bewerbungsmappe nicht kenntlich machen – zumindest nicht in Form eines Arbeitszeugnisses.

Ganz anders hingegen sein Studienkollege Karsten. Er hat die meiste Zeit seines Studiums auf der faulen Haut gelegen. Erst kurz vor seinem Examen machte er ein dreiwöchiges Praktikum bei der Deutschen Bank. Sein Arbeitszeugnis in Hochglanzpapier macht beim Auswahlverfahren einen hervorragenden Eindruck.

Jugendliche erwerben über ehrenamtliche Arbeit Kompetenzen, die im Berufsleben durchaus gefragt sind, vor allem was Teamfähigkeit, aber auch Konfliktbewältigung betrifft. In der Bewerbungsmappe macht sich das jedoch kaum bemerkbar. Wirtschaft und Politik haben das Problem erkannt und wollen das ändern.

So ist die staatliche Seite bereits seit einiger Zeit darum bemüht, ehrenamtliches Engagement von Jugendlichen entsprechend zu zertifizieren, um bei Bewerbungsverfahren ihre Chancen zu verbessern. Unter anderem auf Bestreben der damaligen Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) hat die EU-Kommission Anfang 2004 beschlossen, so genannte weiche Standards zur Zertifizierung genau zu definieren.

Wirtschaftsverbände begrüßen den Vorstoß. Auch sie haben erkannt, dass engagierte junge Menschen oft über Schlüsselkompetenzen verfügen, die der Einzelne allein in einem Betriebswirtschaftsstudium oder einer Ausbildung zum Bankkaufmann nicht so leicht erwerben würde.

Der Landesjugendring, ein Zusammenschluss der meisten Berliner Jugendverbände, hat die aktuelle Debatte um eine Zertifizierung von ehrenamtlicher Arbeit aufgegriffen und lädt heute zu einer Diskussion ein. Unter dem Titel „Erwerb sozialer Kompetenzen durch ehrenamtliches Engagement – wem nutzt es?“ wird Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) mit VertreterInnen der Wirtschaft und Pädagoginnen über die Frage diskutieren, ob eine Bewertung ehrenamtlicher Arbeit in der Jugendverbandsarbeit nach wirtschaftlich verwertbaren Kriterien erwünscht ist.

Denn auch wenn Jugendverbände grundsätzlich dafür sind, dass ehrenamtliche Arbeit gesellschaftlich stärker anerkannt wird, heißt das noch lange nicht, dass sie dies auch nach starren Kriterien wollen. „Die Ausstellung einer Jugendleiter-Card bestätigt die ehrenamtliche Tätigkeit. Sie garantiert jedoch nicht den tatsächlichen Erwerb bestimmter Qualifikationen“, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesjugendrings.

„Das ehrenamtliche Engagement bereitet die Jugendlichen in erster Linie auf die Beteiligung in der Zivilgesellschaft vor“, sagt Thomas Koch vom Vorstand des Berliner Landesjugendrings. Koch bezieht sich auf eine Studie der Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Wibke Riekmann, die eine Promotionsarbeit zum Thema „Demokratie und Verein“ schreibt. Für Riekmann ist Ehrenamt nicht gleich Ehrenamt. Sie unterscheidet „freiwilliges Engagement“ von „demokratischem Ehrenamt“ und plädiert für eine klare Trennung zwischen Jugendarbeit und Arbeiten, bei denen es um wirtschaftliche Interessen geht. Zugleich kritisiert Riekmann die Tendenz einiger Vereine, die sich immer stärker zu „kleinen Betrieben“ entwickeln. Damit würde eine „demokratische Sozialisation“ verhindert. Eine standardisierte Zertifizierung der Arbeit sei ein Anzeichen dieser Entwicklung der Vereine.

Sie fordert die Wirtschaft dazu auf, dass sie zum Zwecke ehrenamtlichen Engagements ihren Mitarbeitern flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen. Studien zeigen, dass ein Großteil der Jugendlichen auch heute bereit ist, sich in Organisationen einzubringen. Riekmann: „Die Frage lautet jedoch nicht, ob, sondern vor allem wie diese Einbindung stattfindet.“ FELIX LEE

Diskussion um 15 Uhr im Evangelischen Bildungswerk, Goethestraße 27 in Charlottenburg