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Archiv-Artikel

Das Geschäft mit dem Garten

MARKT Gartencenter und ihre Besitzer: wer mit Pflanzen Geld macht, ist Trendforscher oder Liebhaber, Großhändler oder Kräuterfreund, Erbe oder Experte. Ein Ausflug ins Gewächshaus

AUS HEILBRONN UND HORSTEDT FELIX ZIMMERMANN

Koi möchte man sein bei Pflanzen Kölle an diesem ersten warmen Tag des Jahres. Sich gleich hinterm Eingang des Gartencenters in Heilbronn – dem Ursprung einer heute elf Glieder umfassenden Gartencenter-Kette – ins Bassin stürzen und nichts mit dem Trubel zu tun haben, der dort herrscht. Lautsprechermusik, die jemand mal als konsumfördernd eingestuft hat, webt einen Teppich guter Laune in das gewächshausartige Gebäude, gerade schmettern die Gipsy Kings „Volare“.

Zwei Drittel aller Deutschen ab dem 14. Lebensjahr arbeiten zumindest ab und zu im Garten, hat das Statistische Bundesamt ermittelt, die Arbeit im heimischen Grün zählt zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen. Jetzt ist die Zeit, in der die Leute hinausstreben, sie wollen pflanzen, säen, vertikutieren. Sie kaufen ein und schieben ihre Einkaufswagen durch die Gänge, packen Hornveilchen und Hortensien hinein, sie murmeln, sind unschlüssig. Pflanzen Kölle macht es ihnen aber auch schwer; 40.000 Artikel sind im Sortiment.

Kölle ist der eine Pol dieser Geschichte über das Geschäft mit dem Garten. Der trubelige und laute, der, an dem es alles gibt. Der Big Player der Branche mit 140 Millionen Euro Umsatz, 1.450 Mitarbeitern in elf Gartencentern und drei Blumenmärkten in Berlin und Süddeutschland. Der andere Pol liegt nordöstlich von Bremen, auf dem platten Land, am Rande des Dörfchens Horstedt. Rühlemann’s Kräuter und Duftpflanzen. Der kleine stille Anbieter auf dem Markt des Gartenwesens, wobei auch er groß ist, nur ist sein Segment eine Nische, in der es kein Grillzubehör gibt, keine Gartenmöbel – im Branchenjargon Gartenhartware genannt – und keine protzigen Rosenstöcke. Alles geht sanft und leise zu. Nicht mal die Pflanzen bieten sich auffällig an – es sei denn, man riecht genau hin.

Aber dazu später. Jetzt kommt erst mal Angelika Kölle, die Geschäftsführerin des Familienunternehmens, das seit 1818 bereithält, was sich Menschen in den Garten setzen, stellen, pflanzen. Als sie eintrifft – leicht verspätet, sie stand im Stau –, ist klar: Nichts wird bei Kölle dem Zufall überlassen, schon gar nicht das Grün. Die Papierservietten sind grün, die Tassen sind grün, die Vorhänge, die den Besprechungsraum vom Lager voller grün bezogener Stühle abtrennen, sind grün, aufgelockert von blauen Rosen, die im Blau der Blüten gehalten sind, die die grünen Servietten zieren. Darunter steht: „Wir wollen Sie begeistern“. Frau Kölle fügt sich gut ein: Ihre Kostümjacke ist grün, um den Hals hat sie ein zartes Tuch gelegt. In Grün.

Der Libelle hinterher

Wäre sie ein Tier im Garten, wäre sie eine Libelle. Schillernd, von langer Gestalt, andauernd summend, immer in Bewegung, dabei ruckartig die Richtung wechselnd. Wer ihr folgen will, muss flink sein. Beinahe als Erstes sagt sie: „Die Leute kaufen nur Gefühle, nicht Produkte.“ Sie selbst sei „eine starke Jägerin“ – was ihr beim Aufspüren von Trends wohl hilft, denn: „Sonst könnte ich viele Produktinnovationen gar nicht machen.“ Überhaupt, „Trendforschung, ein ganz wichtiges Thema“, sagt sie, oft sei sie unterwegs, spreche mit Trendforschern; sie fühlt den Puls der Zeit, weiß, wie die Zeiten sind und was in die Gärten gehört. Gelbe, rote, knallig bunte „Gartenhandschuhe waschbar“ für 2,99 Euro das Paar zum Beispiel, ein Sonderposten zwar, aber: „Trend.“ Wegen der aufgedruckten Blüten.

„Ladys im Garten, das ist Gefühl“, sagt Frau Kölle. Gefühl ist wichtig in diesen Zeiten: „Die Politik ist scheußlich, der Terrorismus, die Krise, deshalb geht’s zurück zum Biedermeier, zur Romantik, zur Poesie.“ Sie eilt durch den riesigen Laden, Vöglein zwitschern, eine Mitarbeiterin im köllegrünen Dress grüßt: „Hallo, Frau Kölle!“ Die zeigt Osternester, bunt bemalte Pappeier, Häschen mit Spitzenkleidchen. „Das ist Retro, wie bei Oma, das sind Gefühle, es sieht aus wie die heile Welt“, sagt sie. Aber es sieht eben nur so aus. Denn dies sind alles Zeichen für düstere Zeiten, gegen die sich der Hobbygärtner mit dem niedlichen Zeug wappnet: „Die Leute, die hierher kommen, wollen Abstand von der Welt, Frieden. Sie suchen etwas, dem sie vertrauen können“, sagt sie. „Der eigene Garten enttäuscht mich nicht.“

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Unternehmens, das David Kölle 1818 in Ulm gründete. Nach dem Umzug nach Augsburg 1859 steckte er Rosen für Kaiserin Sissi und wurde „kaiserlich-königlicher Hoflieferant“. Selbst zur Weihnachtszeit wurden Rosen verschickt, bis nach Russland, gezogen im frostfreien Boden tiefer Gräben, gedeihend in der Wärme bullernder Holzöfchen. „Die Kundenwunschorientierung steckt in den Familiengenen drin“, sagt Frau Kölle. Nur dass damals allein die feine Gesellschaft bedient werden musste. Das war in gewisser Weise einfach: es konnte nicht edel genug sein. Heute dagegen spricht Kölle jeden an, hat alles im Programm – seit Angelika Kölle 2008 die Geschäftsführung übernahm, auch Bio-Pflanzen aus Eigenproduktion – und muss sich in der schnelllebigen Konsumwelt behaupten. Masse ist gefragt, zum Trend wird erklärt, was auf den Markt strömt. Dann lassen selbst gelbe Gartenhandschuhe auf einen größeren Zusammenhang schließen. Hält der Garten den Zeitläuften wirklich den Spiegel vor? Verrostete Skulpturen sind momentan auch im Trend, sagt Frau Kölle. Rost kennzeichnet Verfall.

Der grüne Genießer

Keine Rede davon bei Rühlemann’s in Horstedt bei Bremen. Niemand käme dort auf die Idee, über die angebotenen Produkte auf den Zustand der Welt zu schließen. Das wäre auch viel zu viel für die zarten Pflänzchen, die es bei Rühlemann’s in schwarzen Plastikbecherchen gibt. Hier geht es um den „sinnlichen Genuss“, sagt Daniel Rühlemann. Kräuter und Duftpflanzen, darauf sind sie spezialisiert, nichts also, was sich mit üppiger Blütenpracht anbietet und dabei so hochgezüchtet ist, dass es gar nicht mehr duftet. Was zählt, ist das feine Gespür der Nase: „Wir haben Fernsehen und Radio“, sagt Rühlemann, „aber noch keinen elektronischen Geruchsüberträger.“ Das ist es, was ihn an seinem „oft mickrigen Grünzeug“ so fasziniert. Zum Beispiel ein Basilikum, das nach Anis schmeckt. Er fand es im Urlaub auf Madeira, nahm drei Pflanzen im Koffer mit – und kann es jetzt hundertfach zum Verkauf anbieten. Das ist ein Trend, wie er ihn versteht: „Ein Kräuterfreunde-Nischentrend.“

Es ist ruhig bei Rühlemann’s, der Duft eines lila-weiß blühenden Malaka mischt sich mit einem Zitroneneukalyptus, ein Brünnlein plätschert. Im Verkaufsgewächshaus – der „Oase“ – laufen Mitarbeiter durch die Gänge und sortieren Pflänzchen auf die Verkaufstische, manches steht im Warmhaus, solange die Nächte noch zu kalt sind. Zwei Frauen setzen Stecklinge ein, sie gehen nach einem Plan vor, der einen großen Namen trägt: „Schöpfung 2010“ steht darauf. Es sind die letzten Vorbereitungen für den Ansturm nach einem langen Winter. Anfang April wird der erste Verkaufstag des Jahres sein, das Wetter lässt erwarten, dass die Gartenfreunde in Massen kommen, um sich Nachwuchs für den Garten auszusuchen. Obwohl 80 Prozent des Geschäfts im Versand liegen – es kann gut sein, dass die Landstraße von Horstedt nach Taaken manchmal zugeparkt sein wird.

Daniel Rühlemann, dessen Barthaare unwesentlich länger sind als sein Haupthaar, hat die Gärtnerei 1991 gegründet. Als gelernter Musiklehrer, fand er, müsse er sich verbiegen, um kreativ zu sein. „Da spielt man auf Hochzeiten oder so“, sagt er. Er hatte Kräutertees entdeckt, ernährte sich vegetarisch, probierte Gewürze aus, wurde zum Kräuterliebhaber und schließlich zum Gärtner. „Als Quereinsteiger hat man den unverstellten Blick auf die Kräuterlein.“

Liebevoll, zärtlich fast, streicht Rühlemann durch den Katzengamander, zupft ein paar Blättchen vom Thymian. Zwanzig feste Mitarbeiter hat er, zwei Gärtnermeisterinnen und ein -meister und mehrere Gärtner haben die Übersicht über 700 Pflanzen, die größtenteils selbst produziert werden, seine Frau schreibt im Blog über die Kräuter. Sie alle muss er durch den Winter bringen – sein Geschäft ist ein Saisongeschäft: verkauft wird bis Ende September, versandt bis Ende Oktober, dann ist Schluss.

Bis April ist alles gerichtet. Orangefarbene Namensschilder stecken in Töpfen, Nützlinge schwärmen aus weißen Plastikbechern und vertilgen Schädlinge. Jetzt gibt es nur noch ein Problem. „Gülle“, sagt Rühlemann, „passt nicht so zur Duftpflanzengärtnerei.“ Dumm nur, dass die Güllesaison dieser Tage auch beginnt.