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Archiv-Artikel

Hip und Hop im Hochkulturbetrieb

TANZ Mit „Crackz“ gastiert der HipHop-Analytiker Bruno Beltrão bei den europäischen Festivals – aktuell beim „Tanz im August“

„Crackz“ bei Tanz im August

■ Bruno Beltrãos „Crackz“ ist heute und morgen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu sehen, jeweils ab 21 Uhr.

■ Tanz im August, das größte Tanzfestival der Stadt, dauert noch bis 31. August. Einen Überblick über die – großteils noch nicht ausverkauften – Aufführungen gibt es unter tanzimaugust.de.

VON HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Was soll man von einem Choreografen halten, der fünf Jahre lang kein neues Werk auf die Bühne bringt? Der sich dem Uraufführungs- und Originalitätszwang des Tanzes widersetzt? Und die zahlreichen Offerten des internationalen Festivalzirkus einfach ausschlägt?

Bruno Beltrão lässt sich davon offenbar gar nicht beeindrucken. 2008 hat er sein letztes Werk, „H3“, vorgestellt und sich seitdem in seinem Heimatland Brasilien, so versichern Kenner der dortigen Szene, ausschließlich dem Unterrichten und Forschen gewidmet. Dabei gilt der Fachmann für die Dekonstruktion des HipHop als Liebling der Tanzszene. Für einen neuen Beltrão findet sich immer Geld in der Koproduktionskasse. Und so sind an seinem neuen Stück, „Crackz“, das jetzt im Rahmen von „Tanz im August“ in der Volksbühne zu sehen ist, gleich eine Handvoll europäischer Festivals finanziell beteiligt, darunter auch die Ruhrtriennale, bei der „Crackz“ bereits am Wochenende im PACT Zollverein in Essen aufgeführt wurde.

Fünf Tänzer kreiseln auf die leere Bühne. Synchron drehen sie sich um die eigene Achse, immer eine Hand am Boden. Die Beine bleiben angezogen. Ein ruhiger Beat gibt den Rhythmus vor, kurze Rückkopplungsgeräusche sorgen für kleine Irritationsmomente. Der Raum sackt kurz ins Dunkel weg. Dann sammelt sich die Gruppe am Rand und trudelt erneut über die Tanzfläche. Gleichgültig, ob sich die in Jeans und T-Shirts gekleideten Tänzer zur Gruppe, zum Duo oder Trio formieren, es liegt etwas Selbstbezügliches in diesen Rotationen. Die Penetranz, mit der Beltrão seine Compagnie Grupo de Rua solipsistisch wirbeln lässt, wirkt wie ein ironischer Seitenhieb auf die Männerdomäne HipHop.

Es ist dann Bárbara Lima, die einzige Frau im vierzehnköpfigen Ensemble, die plötzlich den aufrechten Gang erprobt und damit den Schwerpunkt in höhere Regionen des Körpers verlagert. Kurz deutet sich ein Moment des Erzählerischen an, doch dann übernehmen wieder die Männer die Regie, verhaken sich, ein knallender Ausfallschritt hier, ein Anspringen dort. Elemente des brasilianischen Kampftanzes Capoeira sind genauso zu erkennen wie des Breakdance oder des modernen Tanzes. Ein choreografisches Mash-up, mit dem schon der Titel „Crackz“ spielt. Crack meint neben der Droge auch das illegale Herunterladen eines Computerprogramms.

Beltrão soll seine Tänzer aufgefordert haben, Bewegungssequenzen aus dem Internet zu kopieren, die dann die Grundlage der Choreografie bildeten.

Copy & paste als Verfahren künstlerischer Kreativität – das klingt interessant, ist aber auf der Bühne kaum auszumachen. Bruno Beltrão spielt da ein bisschen mit dem Image des Bad Boy, was im Hochkulturbetrieb ja nicht schaden kann.

Ade, HipHop-Herrlichkeit

Bruno Beltrão spielt da ein bisschen mit dem Image des Bad Boy

Vor Provokationen schreckte der brasilianische Choreograf noch nie zurück, selbst die HipHop-Szene bekam das zu spüren. Mit 13 Jahren begann Beltrão in Niterói, einer Stadt im Speckgürtel von Rio de Janeiro, intensiv zu tanzen, mit 16 gründete er die Compagnie Grupo de Rua, die sich vor allem bei Tanzwettbewerben und im Fernsehen einen Namen macht. Als der damals 21-Jährige sich dann im Jahr 2000 an der Universität für Tanz, Philosophie und Kunstgeschichte einschreibt, ist es mit der traditionellen HipHop-Herrlichkeit vorbei. Bruno Beltrão untersucht dessen Funktionsmechanismen und zerlegt ihn dabei in den ersten Stücken in seine Einzelteile. Er löst die Battle-Struktur auf, verlangsamt die Moves, entzieht dem Tanz die Musik, kombiniert ihn mit anderen Stilen – ein Sakrileg, das ihm prompt Anfeindungen klassischer HipHopper einträgt.

Die internationale Tanzszene dagegen ist angesichts der Mischung von Streetcredibility und Intellektualität begeistert und lädt ihn 2005 mit „H2“ erstmals nach Europa ein.

Mit Streetcredibility geizt Beltrão auch in seinem neuen Werk nicht. Tänzerisches Imponiergehabe wechselt mit geduckten Fluchtgesten, dann wieder recken sich die Arme zu kraftmeiernden Siegerposen in die Höhe. Zeitlupen gehen in heftige Beschleunigungen über. Fäuste werden geballt, Füße stampfen kräftig auf. Die Bühne versinkt immer mehr im Dämmerlicht. Nur schemenhaft nimmt man zwei Tänzer wahr, die sich aneinanderlehnen und behutsam über die Bühne schieben. Erschöpfte? Liebende? Oder stützt hier der Lahme den Blinden?

Insgesamt wirkt die Produktion in Essen gestraffter als im Mai bei der Uraufführung beim Kunsten Festival in Brüssel, zugleich aber auch abgeklärter. Die extremen Bewegungsamplituden wie das tierhafte Staksen, das gnomenhafte Schlurfen, aber auch die schieren aggressiven Drohungen sind zurückgenommen zugunsten eines abgeschliffenen, etwas redundanten Vokabulars. Beltrão lässt nur wenig Raum für Assoziationen, eher buchstabiert er sein bekanntes HipHop-Alphabet neu durch. Copy & paste eben.