: Flirt auf Kosten der SPD
VON THILO KNOTT
Bernd Riexinger muss wohl schizophren sein. Er sagt, er kann seine beiden Jobs trennen. Riexinger hält Reden als Landesvorstandssprecher der WASG Baden-Württemberg. Dann sagt er Dinge wie: „Wir unterstützen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die in eindrucksvoller Weise gegen die Arbeitszeitverlängerung gestreikt haben.“ Riexinger unterstützt dabei auch Riexinger. Denn er organisiert die Streiks. Als Geschäftsführer des mächtigen Ver.di-Bezirks Stuttgart. „90 Prozent Verdi, 10 Prozent Wahlkampf, 18 Stunden am Tag“, bilanziert er. Er sagt, er halte die Trennung strikt ein.
Und doch: Es stehen Landtagswahlen an. In Baden-Württemberg will die WASG in den Landtag einziehen, in Umfragen steht sie bei 3 Prozent. Und es ist Streik in Baden-Württemberg. „Die WASG hat zu den Streiks eine klare Haltung“, sagt WASG-Vorstandssprecher Riexinger. Klar hätte er sich mehr Unterstützung anderer Parteien für den Streik gewünscht, etwa von der SPD, sagt Ver.di-Geschäftsführer Riexinger. Nur: Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Baden-Württemberg ist Mannheims Oberbürgermeister Gerhard Widder. Ein Sozialdemokrat. Es sei das Problem der SPD, das Problem von Spitzenkandidatin Ute Vogt, wenn sie sich da nicht entscheiden könne. Sagt wer?
Symbolische Aktionen
Die Linkspartei will die Tarifauseinandersetzungen nutzen, um sich im Westen zu etablieren. Mit den Gewerkschaften, auf Kosten der SPD. „Wir flirten gerade heftig mit den Gewerkschaften“, gibt Werner Dreibus zu. Der Linkspartei-Abgeordnete im Bundestag und gewerkschaftspolitische Sprecher seiner Partei sieht das Potenzial der WASG im Westen bei 3 bis 10 Prozent. Also gehen die WASG-Politiker zu den Kundgebungen, schreiben Solidaritätsadressen. „Ja klar wollen wir damit Wähler mobilisieren“, sagt Dreibus. Es gehe gerade um „symbolische Aktionen in Richtung Gewerkschaften“. Wie vergangene Woche im Bundestag. Als die Linkspartei eine aktuelle Stunde zum Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst anberaumte. Da streiften sich Linkspartei-Abgeordnete Ver.di-Streikwesten über und hielten Transparente hoch. Die Ermahnung von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die Auseinandersetzung gefälligst mit dem gesprochenen Wort zu suchen, hat die Aktion wohl eher noch geadelt.
„Ein linkes Projekt in Westdeutschland ohne partielle Beteiligung der Gewerkschaften ist nicht machbar“, sagt Dreibus, der selbst 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Offenbach ist. Und auch die IG Metall steht ja vor einem Tarifkonflikt. Anfang April wird in der Metall- und Elektrobranche mit Warnstreiks gerechnet. Und auch in Richtung IG Metall gab es, was Dreibus „symbolische Aktionen“ nennt. Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine wurde bei der AEG in Nürnberg genauso gefeiert wie beim Berliner Baumaschinen-Unternehmen CNH oder bei Telekom-Angestellten in Ingolstadt. Spötter sagen, Lafontaine stehe schon vor dem Werkstor, obwohl das Werk gar nicht von der Schließung betroffen sei.
Die Gewerkschaften sind empfänglich für die Avancen der Linkspartei. Nicht nur, weil viele WASG-Politiker selbst mitunter hauptamtlich für Gewerkschaften tätig sind. „Es ist der Versuch, die SPD über die Linkspartei wieder stärker an die Gewerkschaften heranzulocken, sie linker zu machen in der großen Koalition“, hat der Berliner Gewerkschaftsexperte Hans-Peter Müller von der Fachhochschule für Wirtschaft beobachtet. Mit Erfolg. Der Tarifkonflikt bei Ver.di hat erstmals kleine Risse im schwarz-roten Band der Harmonie offenbart. Als die Landesminister Ralf Stegner (SPD, Schleswig-Holstein) und Hartmut Möllring (CDU, Niedersachsen) nach dem gescheiterten Spitzengespräch mit Ver.di aufeinander losgingen. Gewerkschaftsexperte Müller sagt, es gehe den Gewerkschaften um eine „politische Neuaustarierung der Republik“.
Die obersten Gewerkschafter machen deshalb auch der Linkspartei ihre Aufwartung. Ver.di-Chef Frank Bsirske war Gast beim Parteitag der Linkspartei im Dezember 2005 in Dresden. DGB-Chef Michael Sommer und IG-Metall-Vorsitzender Jürgen Peters waren beim Fraktionsvorstand der Linken zu Besuch. Offiziell heißt es, die Gewerkschaften seien Einheitsgewerkschaften und müssten Kontakt zu allen Parteien haben (mit Ausnahme selbstverständlich der FDP). Offiziell heißt es, das Verhältnis zur Linkspartei sei auf dem Weg der „Normalisierung“ (DGB-Chef Sommer). Doch inoffiziell wollen vor allem Peters und Bsirske, die Chefs der beiden größten Gewerkschaften im DGB, das politische Koordinatensystem nach links verschieben.
In ihrer Wahlanalyse stellte die IG Metall fest, dass es weder eine Mehrheit für Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb gibt, sondern nur „eine Mehrheit links der Mitte“ (IG-Metall-Chef Peters). Hieße: Rot-Rot-Grün. Das ist das langfristige Projekt.
Die Post-Schröder-SPD
Momentan aber haben die Gewerkschaften ihre liebe Mühe mit der SPD in der großen Koalition. Immer noch. Obwohl die Ära des Agenda-Kanzlers Gerhard Schröder doch eigentlich vorbei ist. Wenn Horst Schmitthenner, Exvorstandsmitglied der IG Metall, über die SPD redet, dann kommt der ganze Groll zutage. „Die SPD hat sich doch von uns ganz offiziell verabschiedet“, sagt Schmitthenner, der seit zwei Jahren Chef des Verbindungsbüros soziale Bewegungen der IG Metall in Frankfurt ist. Nie werde er vergessen, wie Schröder über die Gewerkschaften gesagt habe, diese seien ein Interessenverband wie jeder andere auch. So etwas sitzt tief. „Er hätte nur noch sagen müssen: ein Interessenverband wie die Kleintierzüchter auch“, sagt Schmitthenner. Und heute, in der Post-Schröder-SPD? Schmitthenner gehört zu jenem Teil innerhalb der Gewerkschaften, der etwa in Arbeitsminister Franz Müntefering nur den Fortsetzungsgehilfen von Schröders Agenda-2010-Politik sieht. Man braucht Schmitthenner dabei nur nach Münteferings „Rente mit 67“ fragen. „Mit der Linkspartei haben wir jetzt wieder eine Stimme im Parlament“, sagt der Metaller. Der WASG-Abgeordnete Dreibus spricht von einem „gemeinsamen Hebel, um unsere Themen durchzusetzen“.
Die Stimme im Parlament, die Faust auf der Straße: Ist das die Arbeitsteilung zwischen Linkspartei und Gewerkschaften? Sie ist bei manchen Themen gar nicht mehr zu trennen. Im Februar diesen Jahres demonstrierten Zehntausende gegen die geplante europäische Dienstleistungsrichtlinie – aufgerufen hatte der DGB, von den Parteien hatte zuerst die Linkspartei gegen die „Bolkestein-Richtlinie“ gewettert. Noch deutlicher wird die Arbeitsteilung beim Thema Mindestlohn. Die Linkspartei-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine forderten im Bundestag einen Bruttolohn von mindestens 8 Euro pro Stunde. Gleichzeitig starteten Ver.di und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten eine Mindestlohn-Initiative unter dem Motto „Kein Lohn unter 7,50 Euro pro Stunde“. Zufall?
Mindestlohn-Ini
Mitnichten. Die Mindestlohn-Initiative wurde detailliert im Vorfeld zwischen den Gewerkschaften und Linkspartei abgesprochen. „Besprochen“, korrigiert Dreibus. Und muss lachen. Es wird nicht die einzige „Besprechung“ bleiben, wie Dreibus’ Parteikollegin Inge Höger-Neuling, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, ankündigt. Es werde sicherlich weitere „gemeinsame Gesetzesinitiativen und Kampagnen geben“.
Die neue Liaison zwischen Gewerkschaften und Linksparteien: Wie gefährlich ist sie für die SPD? Zuletzt hatten SPD-Politiker wie Wolfgang Thierse, Niels Annen oder Ottmar Schreiner darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung „bedrohlich“ und „gefährlich“ sei für die SPD, wenn die „eigenen Beziehungen zur Gewerkschaft gestört sind“. Ihnen ist aufgefallen, dass die Linkspartei gewerkschaftliche Themen wie Mindestlohn oder höhere öffentliche Investitionen (jährlich 20 Milliarden Euro) in den Bundestag trage. Am deutlichsten wurde vor drei Wochen Werner Schuh, stellvertretender SPD-Landesvorsitzender der SPD-Arbeitnehmergruppe AfA in Sachsen, der an seine Landtagsfraktion einen Brief geschrieben und geraten hatte, dass sich SPD-Politiker doch gefälligst bei den Ver.di-Streikenden blicken lassen sollten. „Sonst brauchen wir uns bei den nächsten Wahlen über entsprechendes Stimmverhalten nicht zu wundern“, stand in dem Brief.
Ernst Dieter Rossmann, der Sprecher der parlamentarischen Linken der SPD, sieht dagegen „keine Bedrohung“. Sagt er zumindest. Einen Wettstreit, ja, den gebe es. Immerhin sieht auch er, dass die Linkspartei gewerkschaftliche Positionen „eins zu eins ins Parlament trägt“. Aber? Er wird theoretisch. Die Linkspartei fahre eine rigide Oppositionsstrategie. Und wenn man nicht linke Volkspartei sein wolle, wie die SPD eine ist, dann könne man leicht Forderungen aus dem gewerkschaftlichen Bereich „undifferenziert und rigide übernehmen“. Und in Berlin, wo die Linkspartei an der Regierung beteiligt ist, da müsse sie Kompromisse mit der Wirklichkeit schließen.
Und die SPD? Die SPD müsse immer klar machen, für wen sie Politik mache. Für die Arbeitnehmerschaft. Für die Arbeitslosen. Für die Familien der Arbeitnehmer. Die SPD dürfe niemals eine Politik machen im Namen eines nebulösen wirtschaftlichen Gesamtinteresses – ohne Erkennbarkeit und soziale Verankerung. Und wenn man dem SPD-Linken zuhört, weiß man nicht recht, ob er das als Appell an die eigene Partei verstanden wissen will oder als Beschreibung der derzeitigen SPD-Politik. Rossmann sagt auch: „In der Regierung Helmut Schmidt sind die Grünen möglich geworden, in der Regierung Gerhard Schröder die Linkspartei. Das muss uns zu denken geben.“ Er kann sich Schöneres vorstellen, als ständig Geburtshelfer für die Linke zu sein.