: In die Opferrolle gedrängt?
JUSTIZ Verfahren gegen 49-Jährige endet mit Geldstrafe. Sie sieht sich als Opfer rassistischer Polizeigewalt
Sie habe mit ihrem Verhalten „dem sozialen Miteinander in Deutschland geschadet“. Gefasst nimmt Rükiye A. am Mittwochnachmittag die Urteilsverkündung im vollen Saal 101 des Landgerichts entgegen. Sie starrt geradeaus, ihre Augen schimmern. Zuvor hat der Oberstaatsanwalt sie beschuldigt, „zu nichts gut“ zu sein und sich bewusst in eine Opferrolle zu drängen.
1.600 Euro Geldstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Hausfriedensbruch – so lautet das Urteil für die 49-Jährige. Damit bestätigt der Richter die Entscheidung des Amtsgerichts vom vergangenen 11. März.
Fast genau ein Jahr zuvor, am 14. März 2012, wird Rükiye A. zu einer Schulkonferenz eingeladen, weil ihr Sohn im Unterricht auffällig sei. Es kommt zu verbalen Auseinandersetzungen mit dem Schulleiter, der erteilt der Frau Hausverbot. Als dann noch die Polizei hinzugezogen wird, eskaliert die Situation – ab hier unterscheiden sich die Versionen. Im Zeugenstand erzählt der Schulleiter, die Angeklagte habe mit ihrer Handtasche einen Polizisten geschlagen, der sie aus dem Gebäude führen wollte. Danach habe sie wild auf die Beamten eingeprügelt. Rükiye A. starrt währenddessen weiter geradeaus. Auch als ihre Verteidigerin Unstimmigkeiten in den Äußerungen des Schulleiters feststellt, wirkt ihr Blick leer.
Sie sagt, an jenem Vormittag habe sich etwas ganz anderes abgespielt: Als sie in ihrer Unsicherheit habe telefonieren wollen, hätten die Polizisten auf sie eingeschlagen und sie als „Scheißtürkin“ bezeichnet. Diese Schilderung rief die Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP) auf den Plan, die gestern vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung abhielten. Doch drinnen im Saal konnte keiner der geladenen Zeugen den Tathergang bestätigen, wie ihn A. schilderte. Auch der Familienhelfer, der die Angeklagte in sozialen Angelegenheiten vertritt und sie als einen besonnenen Menschen schildert, brachte keine neuen Erkenntnisse über den Tathergang.
„Schädlich“ sei es, so der Richter, „solche Behauptungen in die Welt zu setzen“. Das mache „das Leben zwischen Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund extrem schwierig“. Nach Ansicht des Gerichts haben sich die Polizeibeamten nur gegen die Angriffe der Angeklagten gewehrt. Dass sie deshalb vor Gericht ziehe, sei makaber. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verlässt die 49-Jährige den Saal – als hätte sie diese Entscheidung längst erwartet. CEM GÜLER