Arbeitslose auf Bewährung

Am kommenden Samstag demonstrieren in ganz Europa Praktikanten gegen ihre Ausbeutung – ein gut gemeinter Anfang. Doch die Generation Praktikum hat noch reichlich unbezahlte Arbeit vor sich

VON DAVID DENK

Leider haben wir im Moment keinen Praktikanten in der tazzwei-Redaktion. Am meisten vermissen wir ihn in der Sonntagsproduktion, weil sonntags nie viel passiert, man das der Zeitung vom Montag allerdings möglichst nicht anmerken sollte. Hier kommt der Praktikant ins Spiel: Jung, dynamisch und hungrig wie er ist, arbeitet er (im Gegensatz zu den Redakteuren) gern sonntags, weil er weiß, dass er dann mit jedem auch nur halbwegs interessanten Themenvorschlag ins Blatt kommt.

Gedruckt werden, seinen Namen lesen, wahrgenommen werden – das ist die Währung bei Praktika in Zeitungsredaktionen. Geld gibt’s nämlich meistens keins – Jobs übrigens auch nicht. Aber immerhin Kontakte – fürs nächste Praktikum.

Dass Praktika Türöffner sind, kann angesichts von geschätzten 400.000 Praktikanten in Deutschland getrost als Legende bezeichnet werden. Diese Behauptung nutzt vor allem den Arbeitgebern, denen diese Praktikantenhoffnung Nachschub garantiert. Wo sollen so viele Jobs plötzlich herkommen – vor allem angesichts der Tatsache, dass Praktikanten immer häufiger als Billigersatz für reguläre Arbeitskräfte herhalten müssen, sich sozusagen selbst die Arbeit wegnehmen. Das Ergebnis ist, dass Arbeitslose auf Bewährung ein Leben im Wartestand führen.

Anstatt immer weiter Praktika zu machen, hat Nikola Richter lieber ein Buch drüber geschrieben. Es trägt den schönen Titel „Die Lebenspraktikanten“ und bringt schon im Klappentext das Elend auf den Punkt: „Die Welt steht ihnen offen, sie sind behütet aufgewachsen, gesund ernährt und bestens ausgebildet, mobil, mehrsprachig, ideologisch unverdorben und informationstechnisch auf dem neuesten Stand – sie sind bereit und bestens gerüstet, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Erwachsen zu werden. Sie sind Meister der Anpassung an eine Gegenwart, die außer dem Wandel nichts Stetiges mehr kennt. Sie sind flexibel durch und durch, erfinden sich täglich neu. Sie sind professionelle Lebenspraktikanten mit mehreren Visitenkarten. Sie leben auf Probe. Vermutlich für immer.“

Auch wenn Berufsberater und Arbeitgeber stets das Gegenteil behaupten, schaden zu viele Praktika dem Praktikanten, werden zum Makel. Auch wenn jeder weiß, dass der Berufseinstieg heute so schwer ist wie wohl nie zuvor, werden Jobsuchende, die sich seit Jahren von Praktikum zu Praktikum hangeln, von Personalchefs als übrig Gebliebene stigmatisiert. So nach dem Motto: Das wird schon seine Gründe haben, dass der noch nichts gefunden hat. Dass diese Gründe jedoch in den meisten Fällen nicht persönlich, sondern strukturell bedingt sind, ignoriert dieser unterbewusste Impuls.

Sich zu vernetzen und am selben Tag in ganz Europa gemeinsam auf die Straße zu gehen ist ein gut gemeinter Anfang – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Dass die paneuropäische Praktikantenbewegung auch außerhalb des Büros noch viel unbezahlte Arbeit vor sich hat, lässt sich an den weißen Masken, die alle Demonstranten tragen sollen, sehr schön ablesen. Sie transportieren nämlich nicht nur eine symbolische Botschaft (austauschbare Mitarbeiter ohne Namen und Gesicht), sondern dienen auch dem Schutz ihrer Anonymität. Hinter der weißen Maske wird viel geschwitzt – aus Angst, ausgetauscht, vom nächsten Praktikanten ersetzt zu werden. Der wartet nämlich schon auf seine Chance, die keine ist.

Der einzige Ausweg aus dieser Misere ist Solidarität. Jeder (und da beginnt das Problem auch schon!) Praktikant sollte sich einem Ehrenkodex verpflichtet fühlen, nach dem er, so mein erster Entwurf, nur bezahlte Praktika annimmt, die am besten nicht länger als drei Monate dauern und ihn fachlich weiterbringen. Diese (leider unwahrscheinliche) Geschlossenheit würde Druck auf die Arbeitgeber erzeugen, potenziellen Praktikanten faire Angebote zu machen, von denen beide Seiten profitieren.

Weil wir gerade keinen Praktikanten in der tazzwei-Redaktion haben, sind wir auf die Idee gekommen, ehemalige Praktikanten zu fragen, ob sie ihre zahlreichen Erfahrungen nicht aufschreiben wollen. Wollten sie nicht. Bewegt sich da etwa schon was? Geschrieben hat den Text dann übrigens der Volontär. Ohne Murren. Weil er ja irgendwann auch mal einen richtigen Job haben will.