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Archiv-Artikel

Der alte Mann besiegte den Teufel

OUTSIDER-ART Der geisteskranke US-Musiker Daniel Johnston spielte mit Orchesterbegleitung im Astra Kulturhaus

Das Publikum windet sich im Zwiespalt zwischen Empathie und Verstörung

VON RENÉ HAMANN

Daniel Johnston war in der Stadt. Und wie immer, wenn Daniel Johnston in der Stadt ist, wird er von Dokumentationen begleitet. Es gab ein Filmchen, und es gab auch ein wenig Kunst, die ein wenig schmucklos im Foyer des Astra Kulturhauses (was edler klingt, als es ist) hing. Bestrahlte Comickunst neben traurig wirkenden Selbstporträts. Eine Vorband spielte, der Hauptsaal war bestuhlt, die Stühle waren restlos besetzt, der Rest musste stehen, Daniel Johnston sollte eines seiner eher raren, in den letzten Jahren aber tatsächlich häufiger gewordenen Konzerte geben, mit Orchesterbegleitung.

Zunächst kam der alte Mann aber allein auf die Bühne, eine winzige Akustikgitarre auf den dicken Bauch geschnallt. Ein irgendwie erschreckendes, irritierendes Bild: Der Mann da vorn, der wie notdürftig auf dieser Gitarre schrammelte und recht zahnlos verstörende Lieder über Einsamkeit, Liebeskummer und den Teufel persönlich von sich gab, schien ein echter Pflegefall. Das Publikum wandt sich in mehreren Zwiespalten hin und her. Dem Zwiespalt der Empfindungen – zwischen Mitleid und Bewunderung, zwischen Empathie und Verstörung, zwischen Authentizitätsschock und ironischer Distanz. Daniel Johnston sah nämlich alles andere als sexy aus: schwer übergewichtig, die struwweligen Haare grau, Zähne unsichtbar, ungepflegter Bart, und am Leib einen ausgeleierten Pullover sowie eine ausgeleierte, Formen sichtbar machende Jogginghose. Dazu hatte er einen Tatterich, der entweder von seiner Koffeinabhängigkeit oder von Parkinson im Frühzustand herrührte. Dabei ist Daniel Johnston nicht einmal 50 Jahre alt.

Aber der Mann ist Körper gewordene Krankheits- und überhaupt lange Leidensgeschichte. Ein frühes Genie, das sich immer schon schwergetan hatte, sich anzupassen. Ein Mann, bei dem manische Depression mit sozialer Fehlbarkeit und künstlerischem Output einhergingen, seit jeher. Oftmals auf der Schwelle zum großen Ruhm und genauso oft auf ebenjener Schwelle gescheitert, manchmal aufgrund äußerer, oft genug aufgrund innerer Umstände. Und setzte er einmal aus Übermut oder Verzweiflung seine Tabletten ab, wurde es richtig gefährlich. Für ihn und sein Umfeld.

Am Montagabend jedoch schien Johnston gut drauf zu sein – er parlierte mit dem Publikum, machte Scherze, harmonierte mit dem Orchester, das sich wiederum sehr gut auf ihn eingestellt hatte. Nach dem Prolog, in dem Johnston solo auf besagter Gitarre schrammelte, durfte er nämlich an einem Tisch mit Plastikflaschen Platz nehmen und sich aufs Singen konzentrieren. Das kleine Orchester – sympathische Musiker, bescheiden ihre Pflicht erfüllend – besorgte den Rest.

Im Programm standen eine Menge Songs, einige Klassiker, das meiste neue Stücke von den aktuellen Platten. Nicht immer klang das, was da von der Bühne kam, großartig. Die Herausforderung bestand darin, das charmante Abseitige, das Schiefe und Unkontrollierte in Johnstons Musik in eine kontrollierte, perfekte Form zu bringen. Und manchmal klang das Orchester eben zu glatt; die verstörend schönen Songs verschwanden hinter dem Bühnenvorhang.

Am besten funktionierten natürlich die Klassiker, die Stücke, deren schmerzhafte, fragile Schönheit dem Publikum die Tränen in die Augen trieb – „Devil Town“, „Walking the Cow“ und, ganz am Schluss, „True Love Will Find You In The End“. Da wurde noch einmal ganz klar: Da vorn stand eine verlorene Seele in einem verlorenen Körper, ein Mann, dem Humor und Sinn für Schönheit trotz allem noch lange nicht ausgegangen waren. Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit. Sozusagen. Das nächste Album heißt „The Death of Satan“.