Kampf mit gewissem Ausgang

Bei den morgigen Wahlen wird die Kadima voraussichtlich zur stärksten politischen Kraft Israels. Für den Likud wird der Absturz unvermeidlich sein

„Dies ist der Traum von Ariel Scharon“, ruft die frühere Ministerin Dalia Itzik

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Ein auffallend gemischtes Publikum kommt in den Jerusalemer Nationalhallen zusammen, als die Kadima am Wochenende zu einer ihrer letzten Parteiveranstaltungen vor den Wahlen einlädt. Da sitzen Männer mit Kipa, Seite an Seite mit jungen Studenten, die sich bunte Strähnen in ihre Haare gefärbt haben. Hier unterhält sich eine Gruppe äthiopischer Einwanderer, dort wird russisch gesprochen.

„Dies ist der Traum von Ariel Scharon“, ruft Dalia Itzik, ehemals Gesundheitsministerin der Arbeitspartei, die als Erste ans Rednerpult tritt. „Linke und Rechte, Sepharden (orientalische Juden) und Aschkenasen (europäische Juden). Was hier versammelt ist, ist das Volk Israels.“ Sie spricht von besserer Erziehung und der Festlegung der Grenzen des Judenstaates. Unter den Versammelten mag keine rechte Stimmung aufkommen, obschon der mit Abstand jüngsten Partei der sichere Wahlsieg bevorsteht. Aktuelle Umfragen geben der Kadima 36 Mandate, 15 mehr als der zweitplatzierten Arbeitspartei. Auch der sehr laut eingespielten Musik gelingt es nicht, die Leute mitzureißen. Kadima-Spitzenkandidat Ehud Olmert glänzt durch Abwesenheit. Immerhin hat das Wahlkampfteam ein großes Bild von ihm und von dem seit Wochen bewusstlosen Nochregierungschef Ariel Scharon an der Wand hinter dem Rednerpult montiert.

Kein Vergleich zu den Likud-Veranstaltungen, wo professionell inszeniert wird, gerade wenn Parteichef Benjamin Netanjahu den Saal betritt, hunderte mit Helium gefüllte Ballons aufsteigen, begleitet von Musik und dem Gebrüll der im Publikum postierten Stimmungsmacher.

„Zeigen Sie mir eine Partei, die es schafft, so kurz vor den Wahlen einen solchen Saal zu füllen“, meint Joel Sasson, ein vom Likud kommender Nachwuchspolitiker, der für die Kadima auf Listenplatz 29 kandidiert, als sich die Menge in den Jerusalemer Nationalhallen schon nach gut einer Stunde wieder auflöst. „Kein Problem“, kontert eine ältere Frau mit Kopftuch. „Bei der Schas war vor ein paar Tagen viel mehr los.“ Vorteil sowohl der Schas als auch des Likud ist, dass seit Jahrzehnten immer dieselben Leute zusammenkommen, während man sich bei der erst vor vier Monaten gegründeten Kadima noch kennen lernen muss.

Problematisch für den Likud wiederum ist, dass bei den Wahlhappenings 2006 nur noch rund die Hälfte der alten Parteifreunde versammelt sind. Es sind die Hardliner, die mit Expremierminister Benjamin Netanjahu unverändert auf eine militärische Lösung setzen. „Stark gegenüber der Hamas“ ist die Devise, die den eingeschüchterten Wähler in die Arme des einstigen Elite-Soldaten treiben soll, was jedoch kaum noch gelingt. Die jüngsten Umfragen geben der Fraktion, die bis zur Spaltung mit 40 Mandaten vertreten war, nur noch ganze 14 Sitze. Der Rest der Fraktion und ihrer Anhänger folgte Scharon Ende November zur Kadima. Zum ersten Mal seit der Staatsgründung sind in Israel die alten Fronten von links und rechts, die sich zahlenmäßig stets mehr oder weniger die Waage hielten, aufgebrochen. Schlüsselerlebnis war der einseitig vollzogene Abzug aus dem besetzten Gaza-Streifen im vergangenen Sommer, den Scharon gegen die Mehrheitsposition im Likud vorantrieb, während ihm die Arbeitspartei den Rücken freihielt.

Die 63-jährige pensionierte Kosmetikerin Chawa Doron, die sich selbst als „große Anhängerin Scharons“ bezeichnet, weil er von „so einem Heldenmythos“ umgeben ist, hat sich in die Mitgliederlisten der Kadima eingetragen. „Ich habe mein Leben lang für die Arbeitspartei gestimmt, aber eigentlich stand ich immer schon in der Mitte“, meint sie. Was sie überzeugt, ist der politische „Weg zum Frieden“, den die neue Bewegung anstrebt. Das ist die sehr vage Perspektive auf einen weiteren Rückzug aus noch nicht definierten Gebieten bei gleichzeitigem Festhalten an den so genannten Siedlungsblöcken. Noch unklarer ist die Position der Kadima zu Jerusalem, denn während bei den ehemaligen Likud-Mitgliedern Jerusalem als „ewig ungeteilte Hauptstadt des Judenstaates“ gilt, betrachten die Politiker, die von der Arbeitspartei zu der neuen Partei in der Mitte stießen, eine Teilung als einziges reales Lösungsmodell.

Die Arbeitspartei wird, trotz des Überlaufens zur Kadima ihres noch immer populären früheren Parteichefs Schimon Peres und zwei weiteren führenden Politikern, ihre rund 20 Mandate halten können. Sie erlitt den großen Stimmeneinbruch bereits bei den letzten Wahlen, als Spitzenkandidat Amram Mitzna mit seiner Idee eines einseitigen Abzugs, sollten sich Verhandlungen mit den Palästinensern als nicht machbar herausstellen, beim Wähler scheiterte. Machtlos mussten die Sozialisten zusehen, wie sich Scharon ihre Agenda auf die eigene Fahne schrieb und zum Verfechter des einseitigen Abzugs bei gleichzeitiger Errichtung von Trennanlagen wurde. Aus Mangel an Alternativen konzentrierte die Arbeitspartei ihren Wahlkampf auf die Innenpolitik. Die Ernennung des früheren Gewerkschaftsführers Amir Peretz, der mit seiner sozioökonomischen Agenda die zunehmende Armut im Land bekämpfen will, fruchtet vorläufig wenig. Die Sicherheitspolitik wiegt in der israelischen Bevölkerung noch immer schwerer als die Wirtschaftspolitik.