NATALIE TENBERG ÜBER KONVERSATIONIch solle über mein Sozialverhalten nachdenken, sagt eine Freundin. Dabei ist sie es, die sich unsozial verhält
: Gewollte Kontaktsperre

Hilde verhält sich absolut lächerlich. Finde ich, aber wir haben ja auch Streit. Heftigen Streit, ich soll schuld sein. Angeblich zanken wir uns schon seit drei Wochen. Meinem Empfinden nach aber begann der Schlamassel erst gestern – vorher hatte ich von dem Ärger und der gegen mich verhängten Sanktion gar nichts mitbekommen. Bis gestern war Hilde wütend, seit gestern ist sie noch dazu beleidigt und gekränkt. „Ich rede jetzt wieder mit dir“, so hatte sie mir gnädigerweise am Telefon das Ende einer ihrer Strafmaßnahmen mitgeteilt.

Sie rief an, als ich gerade meine Tochter ins Bett bringen wollte und um ein Haar hätte ich gesagt, dass es ungelegen sei, sie gefragt, ob wir später noch einmal sprechen könnten. „Hoffentlich weißt du, weshalb ich mich zurückgezogen hatte“, sagte sie. „Zurückgezogen?“, musste ich nachfragen. Hildes Aktion hatte auf mich den gleichen Effekt wie der Führerscheinentzug auf Menschen, die nie Auto fahren: gar keinen.

Hilde zickte sofort rum, dass es ein Unding sei, ob mir das denn gar nicht aufgefallen sei, dass sie sich nicht mehr gemeldet hatte. Vielleicht solle ich über mein Sozialverhalten nachdenken, so Hilde, wenn eine meiner besten Freundinnen die Schranke zwischen uns herunterlässt, sie sei ja eigentlich versöhnt gewesen, wenn diese Freundschaft noch aus Kindertagen mir so wenig bedeute, dass mir gar nicht auffällt, wenn sie fehlt, sei sie doch wieder angefressen. Mein Kind jedenfalls musste wegen Hildes infantiler Art leider ohne Gute-Nacht-Geschichte einschlafen und ich wurde beschimpft.

Angeblich waren wir verabredet, ich hatte es vergessen, sie stand vor dem Kino, rief mich an, mein Handy lag Gott weiß wo, und am Ende war sie so erbost, nicht weil ich dieses eine Mal nicht kam, sondern weil ich im Allgemeinen so unzuverlässig geworden war, dass es mit mir nicht auszuhalten war. Deswegen war sie entschlossen, nicht ans Telefon zu gehen, wenn „Natalie“ im Display stand, und wollte auf meine Mails nicht antworten. Doof für sie: ich hatte lediglich zweimal angerufen und auch nur eine Rundmail und einen Einzeiler geschrieben. Aber leidet in unserer Zeit nicht vor allem derjenige unter einer Kommunikationssperre, der sie einsetzt. So war ich dank sozialer Netzwerke sowieso darüber unterrichtet, was Hilde trieb.

Hätte ich ja nur von Hildes Entschluss geahnt, ich hätte natürlich sofort angerufen, gesimst, ja wahrscheinlich wäre ich sogar bei ihr vorbeigegangen, um mal „Hallo“ zu sagen und zu sehen, was daraufhin geschieht. Stattdessen aber hinterließ ich eine fröhliche Nachricht auf ihrer Mailbox, sie sei ja nun nicht erreichbar, später würde ich mich wieder melden.

Weil ich also von Hildes Ungemach gar nichts mitbekommen habe, brummte sie mir einfach noch einmal drei Wochen Strafe auf. Lächerlich, wie gesagt. Aber wer weiß, vielleicht bin ich ja in drei Wochen dann genauso kleinlich und habe keine Lust, mit Hilde zu reden. Dann aber werde ich ihr von Anfang an sagen, dass ich nicht mehr mit ihr rede. Sonst denkt sie, alles sei wieder gut zwischen uns, und das wäre dann wirklich schade. NATALIE TENBERG