DOMINIC JOHNSON ÜBER DEN STARTSCHUSS FÜR DEN BRITISCHEN WAHLKAMPF : Morbide Faszination
Die Regierung ist verbraucht. Aber große Wechselstimmung herrscht in Großbritannien nicht. Anders als vor dem Sieg von Margaret Thatcher 1979 oder von Tony Blair 1997 schimmert am Horizont nicht die Morgenröte einer neuen Ära. Niemand erwartet von der Parlamentswahl 2010, deren Termin am 6. Mai jetzt feststeht, einen politischen Neuanfang. Oppositionsführer David Cameron kann froh sein, wenn es seine Partei gerade noch zur absoluten Mehrheit an Sitzen schafft. Das ist schon erstaunlich, gemessen an der Verachtung, die Premierminister Gordon Brown im Land entgegenschlägt.
Das Problem mit dieser Wahl ist: Egal, wen man wählt – am Schluss gewinnt immer ein Politiker. Die Politikverdrossenheit in Großbritannien aber hat beängstigende Höhen erreicht. Der Spesenskandal vom Frühsommer 2009, der Abgeordnete aller Fraktionen in seinen Strudel riss, ist noch frisch; keine Partei hat ihn glaubwürdig aufgearbeitet. Man kann zwar froh sein, dass Populisten und Rechtsextreme daraus keinen sichtbaren Profit schlagen. Aber nun zeigt sich, dass die Wähler allen Parteien gleichermaßen den Rücken zukehren.
Versuche der Konservativen, die Antiparteienstimmung zu ihren Gunsten zu wenden, können nicht überzeugen. Schließlich sind die Tories der politische Arm des Establishments geblieben. Ebenso unglaubwürdig klingt Labours Behauptung, die Errungenschaften der eigenen Regierungsjahre seien bei einem Machtwechsel in Gefahr – ganz so, als müsse nicht auch Labour nach dem größten Wirtschaftskollaps seit 70 Jahren erst einmal den Staatshaushalt sanieren.
So ist dieser Wahl eine eigenartig morbide Faszination eigen. Alle politischen Kräfte haben abgewirtschaftet, aber etwas Neues ist nicht in Sicht. Viele bekannte Gesichter ziehen sich in den Ruhestand zurück, aber für ihre Nachfolger interessiert sich niemand. Was auch immer am Ende herauskommt: es könnte die Gelegenheit für positive Überraschungen werden.
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