: Kanal von Weltruhm
Was hat Hamburg bedeutend gemacht? Natürlich sein Sielsystem. Im Abwassermuseum der Freien und Hansestadt, einem Show-Room der urbanen Schattenseiten, hat man das nicht vergessen
Es ist vor allem die Damenunterwäsche. Dessous in Rosa, mit Spitze und ohne, eine ganze Strapskombi, Tangas. Es sind auch Herren-Slips dabei, aber deutlich weniger. Manche Flecken haben sich als unauswaschbar erwiesen, und in alle diese Textilien, die da an einer Wand hängen, hat sich das Grau tief eingefressen. Das Hamburger Siel- und Abwasser-Museum zeigt Dinge, die nicht in die Kanalisation gehört hätten. Die aber bei Arbeiten dort gefunden wurden: Kinderspielzeug, Gebisse, Kaffeedosen inklusive Kaffeebohnen. Was bringt Menschen dazu, ihre Brille ins Klo zu werfen? Oder ihren BH?
Man wird es nie erfahren. „Ein Ort zum Staunen und zum Schmunzeln“, heißt es im kleinen Prospekt zum Museum, was den allegorischen Qualitäten der Fundstücke nicht gerecht wird. Aber Schwamm drüber. Man ist hier zu Gast bei der Hamburger Stadtentwässerung, einem eher bodenständigen Betrieb, und Mitarbeiter Norbert Wierecky führt auch durch die Gewölbe der Siele. Und deren Geruch ist ausgesprochen prosaisch.
Entscheidend ist die Geste, dass es hier, unweit der Landungsbrücken, einen Raum gibt, der Museum heißt, einen Show-Room der Nachtseite des Urbanen. Das ist grandios, und das dient sogar der ökologischen Aufklärung. Dass es ihn gibt, liegt wohl daran, dass man hier weiß: Hamburgs Kanalisation ist etwas ganz Besonderes. Zum Beispiel die älteste moderne Kanalisation Kontinentaleuropas.
1842, direkt nach dem großen Brand, hat man mit ihrem Bau begonnen. Federführend: Der Ingenieur William Lindley, der bei der Einweihung des ersten so genannten Stammsiels – also: Kanalrohrs – als Held gefeiert wurde. Das hinderte die Kaufmannschaft allerdings nicht daran, bald schon Kübel von Unrat über ihm auszuschütten – als sie bemerkte, dass der Brite noch weiter, und, für die Finanzierung des entworfenen Systems, vor allem an sie gedacht hatte. Er setzte sich trotzdem durch. Sein Modell, das Hamburger Modell, wurde von Frankfurt am Main, von Warschau, St. Petersburg, Budapest und Moskau übernommen, von Kiel, Stralsund, Stettin, Leipzig und Düsseldorf. Hamburg, zuvor eher mittelmäßig bedeutend, hat plötzlich Weltrang – durch die Kanalisation.
Wie die Geschichte weitergeht, erläutert Wierecky, der sie auch mit Gerd Eich in dem Buch „Vom Hasenmoor zum Transportsiel“ aufgeschrieben hat, an der Rechenanlage. Die fischt groben Müll aus dem Abwasser, schlammige Batzen, die dann übers Förderband abtransportiert werden. Und mit einem Geräusch, das etwas Endgültiges hat, in einen Container plumpsen. bes
Siel- und Abwassermuseum, nur nach Anmeldung: ☎ 040/34 98 50 55; Gruppen ab 20 Personen aufwärts