: berliner szenen Kleine Brüste
Im Zug nach Berlin
Der Zug von Stettin nach Berlin ist fast leer. Eine Frau sitzt im Großraumwagen, drei Rentner reisen schweigend im anderen Waggon. Der Zug passiert staubige Graslandschaften, sonst passiert nichts. Es ist die Verlassenheit einer Grenzregion, die nichts zu bieten hat. Die modernen Heimwerkermärkte und polnischen Garten-Center, die neuen Tankstellen und großen Möbelhäuser lagern an den breiten Zufahrtsstraßen, dort, wo die Menschen so viel kaufen, dass sie Autos brauchen, um alles zu transportieren.
Am nächsten Bahnhof steigen zwei uniformierte deutsche Grenzbeamte ein. Sie laufen durch den Zug und kontrollieren die Ausweise. Bei der Frau wollen sie in die Reisetasche sehen. Die Frau zerrt angestrengt am Reißverschluss der Tasche. Dann sagt sie: „Ich hab mir gerade den Busen vergrößern lassen. Ich hab Schmerzen!“
Die beiden Grenzer grinsen. Man kennt sich aus in dieser Gegend mit Schönheitschirurgie. Der ältere Grenzer, ein dicker Mann mit wenigen Haaren, stellt fest: „Da sind Sie diese Woche schon die Dritte! Was hat’s denn gekostet?“ „2.800 Euro“, antwortet die Frau. Das ist eine Menge Geld für Polen, das ist zu viel. Der dicke Grenzer ruft: „Das ist aber teuer! Die anderen haben nur 2.000 Euro bezahlt!“ Die Frau guckt gegen die Scheibe des Zugfensters, leise sagt sie: „Ich bin auch nicht zufrieden. Sind zu klein geworden. Wollte sie größer haben.“
Die beiden Männer gucken auf ihren Pullover. Keiner sagt etwas. Irgendwann findet der jüngere Grenzer: „Wieso? Ist doch gut geworden!“ Die Frau schüttelt traurig den Kopf. Die Männer gehen weiter, beim nächsten Halt steigen sie aus. Sie lachen und winken beim Gehen. Die Frau weint.
KIRSTEN KÜPPERS