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Archiv-Artikel

Außergewöhnlich, aber überflüssig

SPORTGESPRÄCH In einer spannenden Diskussion sprechen Sportler, Wissenschaftler und Kulturschaffende über „Die Magie des Sports – die Magie der Kultur“. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider gesellschaftlichen Bereiche stehen dabei im Mittelpunkt

„Sport und Kultur sind die emotionalen Säulen dieser Stadt“

VOLKER HASSEMER

Sportwissenschaftler Helmut Digel bringt die vielleicht schönste Gemeinsamkeit zwischen Sport und Kultur auf den Punkt: „Außergewöhnliches, aber Überflüssiges leisten“, das sei in beiden Sphären gleichermaßen so. Ein Hoch auf die ästhetische Zweckfreiheit in unserer durchökonomisierten Zeit – auch das wäre ein möglicher Veranstaltungstitel gewesen für das „Berliner Sportgespräch“ am Freitagabend im Haus des Sports im Olympiapark.

In der fünfköpfigen Runde diskutierten Digel, Sportwissenschaftler und ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletikverbands, Birgit Lengers, Leiterin des Jungen Deutschen Theaters (Junges DT), Hubert Kolland, Präsident des Landesmusikrates, und Lena Schöneborn, Olympiasiegerin im Modernen Fünfkampf, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Bereiche Sport und Kultur. Moderiert wurde die Veranstaltung, die den Titel „Die Magie des Sports – die Magie der Kultur“ trug, von Tagesspiegel-Sportredakteur Friedhard Teuffel.

In der Vorrede stellt Volker Hassemer, Vorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin, klar, dass Sport und Kultur die „emotionalen Säulen dieser Stadt“ seien – eine Arbeitsgruppe seiner Stiftung befasst sich derzeit mit der Verbindung des Sports mit dem Kultur- und Gesundheitssektor; mit dem Ziel, Berlin als Sportmetropole zu stärken und gleichzeitig den Bereich Sport in der Stadt nicht so isoliert dastehen zu lassen, wie es vielleicht bisher der Fall ist.

Erste viel versprechende Kooperationen laufen dabei bereits: Birgit Lengers berichtet über das Kunst- und Sportcamp, das ab Ende September im Jungen DT erstmals stattfinden wird. Dabei wird es Training und Proben mit Mitgliedern des Ensembles und Trainern des Basketballklubs Alba geben. Im Frühsommer bereits versuchten sich die Weddinger Uferstudios an einer Verbindung von bildender Kunst und Boxkämpfen. Wichtig sei, so Digel, die Veranstaltungen gut vorzubereiten: „Es gibt viele platte, geistlose Formen der Kooperation“, sagt er. Etwa sei es nicht hilfreich, wenn vor Boxkämpfen kitschige Lieder vorgetragen würden und das öffentlich-rechtliche Fernsehen dies auch noch übertrage – wie bereits einige Male geschehen.

Die Diskussion kreist im Laufe der guten Stunde dann um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Welten. Es wird hervorgehoben, was beide gesellschaftlichen Bereiche leisten können. „Man sollte im digitalen Zeitalter unbedingt an der Momentkunst und der Livekunst festhalten“, sagt Lengers und sieht darin die große Stärke von Kunst- und Sportveranstaltungen gleichermaßen. Dabei setzt sie quasi voraus, dass Sport auch eine Kunst sei.

Für Digel gibt es darüber keinen Zweifel: Der Sport sei der „weltweit bedeutendste alltagskulturelle Bereich“, sagt er. Er wünsche sich ein Sportverständnis in der Hauptstadt, das sich an den olympischen Gedanken Pierre de Coubertins anlehne: Sportkultur als Hochkultur, Sport als selbstverständlicher Teil der Künste. Wenn man, so Digel, dann die Kultur und die Kulturgüter schütze, sei der Sport gleich mitgeschützt. Ihn ärgere es, dass beide Bereiche oft getrennt gedacht würden – dabei gebe es etwa eine Symbiose zwischen moderner Architektur und olympischer Kultur. Im Vergleich zum Theater sieht er die Inszenierung im Sport – mit Verweis auf Usain Bolt – immer bedeutender werdend.

Es kommt dann im Laufe des Abends bei allen Gemeinsamkeiten und Unterschieden ein wenig zu kurz, welche weiteren Synergien in Berlin noch denkbar wären. Denn sicher geht es in beiden Sparten darum, „den Moment zu genießen“ und „den Moment zu leben“, wie Fünfkämpferin Lena Schöneborn es ausdrückt, aber die gemeinsamen Momente zwischen beiden Sphären kommen nicht von alleine an die Spree. Bedenkenswert ist dabei auch, dass Berlin allerorts als Kulturmetropole wahrgenommen wird – es scheint hingegen noch ein wenig zu dauern, bis man die Stadt auch wie selbstverständlich als Sportmetropole begreift. JENS UTHOFF