In grau-roten Cowgirlstiefeln gegen Big Oil

PIPELINE-STORYS Unsere Korrespondentin reist entlang der Trasse der geplanten Keystone-XL-Pipeline durch Kanada und die USA. In Nebraska trifft sie auf Jane Kleeb, eine der wichtigsten Frauen des Widerstands. Ohne sie wäre die Pipeline womöglich schon verlegt

„Je länger es dauert, desto mehr Aktionäre springen ab“

JANE KLEEB ÜBER WIDERSTAND

AUS HASTINGS DOROTHEA HAHN

Ohne Jane Kleeb läge die Keystone XL möglicherweise bereits vier Fuß unter der Erde. Sie ist erst vor sechs Jahren nach Nebraska gekommen. Ist weder Farmerin noch Rancherin, sondern eine „Ostküsten-Linke“ – was im Mittleren Westen ein Schimpfwort ist. Aber sie hat es geschafft, den konservativen Bundesstaat aufzumischen. Nachdem ihre Gruppe „Bold Nebraska“ zwei Jahre lang mobilisiert hat, wendet sich der republikanische Gouverneur 2011 als einziger regionaler Spitzenpolitiker zwischen Alberta und Texas gegen die ursprünglich vorgesehene Route für die Pipeline. Als Resultat muss TransCanada die Route geringfügig verändern. Und die Genehmigung aus Washington für die Pipeline steht immer noch aus.

„Wir haben Zeit gewonnen“, freut sich Jane Kleeb: „Je länger es dauert, desto mehr Aktionäre werden ungeduldig und springen ab. Unterdessen können wir mobilisieren.“ Die 40-Jährige trägt grau-rote Cowgirl-Stiefel. Besucher fährt sie zu einem Drive-in, wo Kellner auf Rollschuhen Erfrischungsgetränke ans Autofenster bringen.

Manche Landwirte, die ihr ganzes Leben republikanisch gewählt haben, nennen Jane Kleeb einen „Segen“. Governeur Dave Heineman sagt über sie: „Jane ist aggressiv und parteiisch. Sie hat einen Politikstil, den Nebraskans nicht mögen“. Ein anonymer Blog mit dem Titel „Insane Jane“ beschimpft sie als „sozialistisch“, „kommunistisch“ und: „gestört“. Und neuerdings fährt ein weißer Pick-up im Schritttempo vor ihrem Haus auf und ab und bleibt manchmal – mit Fahrer im Wagen – auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Als der weiße Pick-up im August erstmals direkt auf ihr Grundstück kommt, spricht Jane Kleeb mit Pipelinegegnern in anderen Bundesstaaten und erfährt, dass sie Ähnliches erleben. Sie versteht es als Einschüchterungsversuch. Und schaltet den Sheriff ein. Sie ist bereit, boshafte persönlichen Attacken zu ertragen: „Das ist der Preis für eine öffentliche Rolle.“ Aber dies geht zu weit. Jane Kleeb hat drei kleine Töchter.

Sie ist in Florida aufgewachsen. Hat in Washington die „Jungen Demokraten“ geleitet. Und dann einen Ranchersohn aus den Sand Hills geheiratet, mit dem sie nach Hastings gezogen ist. Kaum angekommen, gründet Jane Kleeb Bold Nebraska (Mutiges Nebraska). Republikanische und demokratische Politiker in Nebraska beäugen die Fremde misstrauisch.

2008 erfährt „Bold Nebraska“ von der Keystone XL. Die Pipeline soll quer durch das empfindliche Biotop der Sand Hills und durch das Ogallala gehen, eines der größten Wasserreservoirs des Planeten, das Tausende von Farmen versorgt. Eine Ölpest im Ogallala-Gebiet wäre ein Katastrophe für die Landwirtschaft des Mittleren Westens. Die Gruppe mobilisiert gegen die Pipeline, die allein in Nebraska 200 Wasserläufe unterquert. Argumentiert, dass die Pipeline allein im Interesse eines ausländischen Unternehmens liegt, nicht im öffentlichen Interesse der USA. Veröffentlicht die engen Kontakte zwischen Öllobby und Politik. Und begründet, dass die Benzinpreise im Mittleren Westen steigen werden, wenn die Pipeline das Öl nach Texas pumpt, wo es in einem Freihafen raffiniert und an die meistbietenden Kunden verschifft wird.

Es funktioniert. In Nebraska unterschreiben nur 35 bis 40 Prozent der Landbesitzer einen Vertrag mit TransCanada – in den Nachbarbundesstaaten sind es über 90 Prozent. Es ist eine Mischung aus Naturschutz, Patriotismus und dem Pochen darauf, über das eigene Land bestimmen zu können.

Mitte des letzten Jahrzehnts, als TransCanada eine erste, weiter östlich verlaufende Pipeline namens „Keystone 1“ verlegte, die nur bis Oklahoma führt, sah die Situation noch völlig anders aus. Die Genehmigung und Verlegung der „Keystone 1“ lief wie geschmiert: Präsident George W. Bush unterschrieb. Die Landbesitzer gaben so viel Land, wie TransCanada verlangte. Und eine Debatte fand nicht statt. „Die Farmer und Rancher waren allein mit der Ölindustrie“, erklärt Jane Kleeb.

TransCanada braucht für eine Pipeline vor allem eines: Land. Jane Kleeb hat deswegen 68.000 Meilen bei Besuchen bei Landbesitzern zurückgelegt. Wenn sie mit ihnen diskutiert, vermeidet sie die Reizworte „Umweltschutz“ und „Klimawandel“. Die Ölindustrie und die Tea Party haben jahrelang dafür gesorgt, dass diese Begriffe wie linksradikale Ideologie und wie Fiktion klingen. Stattdessen findet Jane Kleeb den gemeinsamen Nenner, wenn sie von Land, Wasser, Flora und Fauna spricht. Zusätzlich holt „Bold Nebraska“ Bauerngewerkschaften und Naturschutzgruppen mit ins Bündnis. Und hilft beim Zustandekommen der „Cowboy and Indian Alliance“ – die neue CIA –, die ehemalige Feinde in der Pipeline-Frage zu Alliierten macht.

Die Idee für die ungewöhnlichen Bündnisse hat Jane Kleeb von TransCanada. Das Ölpipeline-Unternehmen ist Partnerschaften mit Tierschutzgruppen eingegangen. Hat Millionensummen gespendet. Und schmückt sich mit Logos wie dem von Ducks Unlimited – einer 600.000 Mitglieder starken Gruppe, die sich für Feuchtgebiete für Wandervögel engagiert.

Während Bold Nebraska Umweltstudien in Auftrag gibt und Politiker zu Stellungnahmen zwingt, meidet TransCanada die Öffentlichkeit. Unternehmenschef Russ Girling, dessen Mitarbeiter seit Jahren die Landwirte längs der Route zur Unterschrift drängen, sagt: seine Pipeline gehe über Land von „ungefähr 60.000“ Leuten. Aber er verrät nicht, wie viele davon Verträge unterzeichnet haben. Und nicht, wie viel Geld sie bekommen. Die andere Seite ist geknebelt. TransCanada verbietet im Vertrag, über Geld und andere Bedingungen sprechen.

Vier Jahre nach ihrem Beginn kann die Anti-Pipeline-Bewegung sich mit kleinen und großen Erfolgen schmücken. Dazu gehören einige der größten Umweltdemonstrationen der US-Geschichte. Und dass Präsident Barack Obama neuerdings seine Position nutzt, um über Klimaveränderung zu sprechen. Nachdem er das Thema jahrelang gemieden hat, steht es jetzt auf seiner Prioritätenliste. Er versichert jetzt auch, dass er der Pipeline nur zustimmen wird, falls sie die Klimaveränderung nicht verschlimmere. Und er korrigiert die von der Ölindustrie geschaffenen übertriebenen Arbeitsplatzerwartungen, indem er sagt, dass die Pipeline allenfalls 2.000 Jobs schaffen werde. Und auch das nur in der Bauphase.

Die vielfach verschobene Entscheidung in Washington erwartet Bold Nebraska nicht vor Jahresende. In diesen frühen Septembertagen nutzt die Gruppe ihre gewonnene Zeit, um eine solarbetriebene Scheune auf der geplanten Pipeline-Route in York – eine Autostunde östlich von Hastings – zu bauen.

Aber Jane Kleeb hat mehr als nur ein einziges politisches Ziel. Sie hat einen „Plan B“ für die Zeit nach der Pipeline. Bold Nebraska organisiert Schulungen für Lokalpolitiker über die Gefahren einer Ölpest. Und studiert Windkraftwerke und Einspeisetarife, um Nebraska, das hauptsächlich mit Kohle befeuert wird, an erneuerbare Energien heranzuführen. Und in den kommenden Wahlen in Nebraska würde Jane Kleeb gern den einen oder anderen Rancher von einer Kandidatur überzeugen. „Die Regierung fällt ihre Entscheidungen ohne das Volk“, sagt sie: „das muss sich ändern.“

Für sich persönlich hat sie ein anderes Projekt. Sie will schreiben. Ein Kochbuch für Leute mit Essproblemen. Darüber weiß sie eine Menge. Als junges Mädchen litt sie unter Anorexie, krankhafter Appetitlosigkeit. Sie hat nur knapp überlebt.