: Papierbungalows für Afrika
MATERIALNEUHEIT Der Ingenieur Gerd Niemöller hat einen neuen Baustoff entwickelt. Damit lassen sich kleine Häuser schon für 5.000 Euro bauen – ideal für die Dritte Welt
VON WIEBKE TSCHORN
In Kiel-Altenholz steht ein Mini-Bungalow aus Papier. Der ist spartanisch eingerichtet: Auf 36 Quadratmetern stehen sechs schmale Einzelbetten und zwei Doppelbetten. Wohnraum für bis zu zehn Personen. Der Bungalow heißt „Afrika-Haus“, kostet 5.000 Dollar, und erfunden hat ihn Gerd Niemöller, ein Diplom- Ingenieur aus Lübeck.
Dieses Haus soll dazu beitragen, Obdachlosen weltweit ein Dach über dem Kopf zu bieten. „Wir können uns vor Anfragen kaum retten“, sagt Niemöller, „wir haben Anfragen aus Angola, Nigeria, der Dominikanischen Republik, Russland, China, Venezuela, Spanien und vielen anderen Ländern.“
Niemöller lebt in Schaffhausen und forscht in Kiel für die Firma „Swiss Cell“. Vier Jahre hat er nach einem leichten und trotzdem stabilen Verbundwerkstoff gesucht. Aus diesem Werkstoff sollten schwimmende Häuser gebaut werden, heraus kamen die „Swiss Cell Paneelen“. Die können schwimmen, sind leicht, preiswert und widerstehen auch schwierigen Witterungsbedingungen.
Die Paneele bestehen aus mit Kunstharz getränktem Papier, das unter Hitze in eine Wabenform gepresst wird. Auf die wabenartigen Platten werden an beiden Seiten dünne isolierende Deckschichten geklebt, die dem Material einer Küchenarbeitsfläche ähneln. Da sie zu 90 Prozent aus Luft und zehn Prozent aus Hülle bestehen, sind die Paneelen sehr leicht. Außerdem sind sie wasserdicht, abwaschbar, schwer entflammbar, und sollen 50 Jahre halten.
„Nachdem wir das Material hatten, haben wir uns die Frage gestellt, was machen wir nun damit?“, erzählt Niemöller. Er entwickelte mit der Bauhaus Universität Weimar das Modell „Universelles Welt Haus“, auch „Afrika-Haus“ genannt, das aus seinen Paneelen besteht. „Dieses Haus ist eine Chance, den Slumbewohnern dieser Erde ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen“, erklärt Jan Doege, Mitarbeiter bei „The Wall AG“, einer Firma, die Niemöller zur Vermarktung der Häuser gegründet hat.
Das Haus wiegt nur 400 Kilogramm. Damit es Wind und Sturm Stand hält, werden die Wände in einer 400 Kilogramm schweren Betonplatte verankert. Außerhalb des Hauses, das keinen Keller hat, befinden sich eine Dusche und ein Klo. Das Abwasser wird in einem unterirdischen Tank, der auch aus Paneelen besteht, gesammelt, und muss regelmäßig leer gepumpt werden. Auch Strom und Internetanschlüsse können verlegt werden. Die einfachste Variante der Stromerzeugung sind Solarzellen auf dem Dach.
Die ersten zwei Papierhäuser wurden im März in Vrygrond erbaut, einem Dorf zwanzig Kilometer von Kapstadt entfernt. Sie werden als Raum für die „iThemba School Capricorn Cape Town“ Vorschule genutzt. Innerhalb von vier Tagen waren sie bezugsfertig.
Für die beiden Testhäuser wurden fertige Paneelen nach Kapstadt transportiert. Das Ziel ist es jedoch, in Vrygrond eine ganze Siedlung zu bauen. Niemöller will dann nicht die fertigen Häuser nach Südafrika liefern, sondern eine Maschine, die dort die Paneelen für die Häuser herstellt. Da die Paneelen zu 90 Prozent aus Luft und nur zu zehn Prozent aus Hülle bestünden, sei das sinnvoll, erklärt Niemöller. „Warum sollten wir Luft um die Welt transportieren?“
Diese Maschinen sehen wie Riesenmangeln aus. Auf der einen Seite läuft das mit Kunstharz getränkte Papier hinein, alle zehn Sekunden „klackt“ es, und auf der anderen Seite kommt ein Paneel nach dem anderen heraus. In dieser Maschine steckt Niemöllers Knowhow.
Die Einzelteile der Maschine werden in sechs Containern nach Vrygrond geflogen, der Aufbau einer Produktionsanlage kostet 1,5 Millionen Euro und lohnt sich ab einer Siedlungsgröße von 1.000 Häusern. Ein Haus der spartanischen Sorte kostet samt Aufbau und Betreuung 5.000 Dollar.
Mit den Arbeiten in Vrygrond werden regionale Bauunternehmen beauftragt. Die Bedienung der Maschine, die Kontrolle und Überwachung der Produktion sowie die Anleitung der südafrikanischen Mitarbeiter, wird von so genannten „Supervisors“ übernommen. Papier, Kunstharz, die dünnen Wandplatten, der Polyurethankleber, der auch im Flugzeugbau verwendet wird, sowie das Glas für die Fenster kommen aus Deutschland.
In Vrygrond soll wie in allen anderen Siedlungen eine funktionierende Infrastruktur entstehen, in der nach einer gewissen Zeit die Bewohner ihren Strom selbst erzeugen, sich mit Wasser versorgen und das Abwasser abpumpen können. Sobald die eine Siedlung fertig gebaut ist, wird die Maschine abgebaut und zum nächsten Einsatzort transportiert.
Noch niemand hat über längere Zeit im Papierhaus gewohnt. Keiner weiß, wie sich das anfühlt. Die Vorschulkinder in Südafrika sind die ersten, die es ausprobieren. „Wenn die Erfahrungen so sind, dass wir etwas ändern müssen, dann werden wir das tun“, verspricht Niemöller. Im Moment tüftelt er an einem Hochhaus. Das soll aber sicherheitshalber mit einem Stahlgerüst stabilisiert werden.